Die Fürsprecher des Verfassungsentwurfs haben vermutlich gewonnen. Das belegen inoffizielle Resultate. Die Zahlen gehen allerdings auseinander. «Al-Akhbar», eine staatliche Zeitung, berichtet von 59 Prozent Ja-Stimmen, die Zeitung «Al-Ahram» nennt 56,5 Prozent. Die Muslimbruderschaft spricht von 57 Prozent «Ja» für die Verfassung.
Die Gegner der Verfassung widersprechen: Eine deutliche Mehrheit habe den Entwurf abgelehnt. Offizielle Ergebnisse gibt es erst nach der zweiten Wahlrunde; sie findet am 22. Dezember statt.
In der Hauptstadt Kairo haben die Wähler wohl mehrheitlich mit Nein gestimmt. Das melden zumindest mehrere Medien.
Hohe Wahlbeteiligung
Die Wähler waren am Samstag in grosser Zahl in die Wahllokale geeilt. Motivation für die Massen: der erbitterte Richtungsstreit zwischen Islamisten und Opposition. Die Lokale blieben vier Stunden länger offen als geplant. Bei über fünfzig Prozent lag am Ende die Wahlbeteiligung.
Relativ ruhiger Verlauf
300'000 Sicherheitskräfte waren im Einsatz, darunter 130'000 Polizisten. Sie sollten Zusammenstösse zwischen Islamisten und Oppositionellen vermeiden. Tatsächlich blieb es am Wahltag vergleichsweise friedlich.
Die Opposition klagte dennoch über Attacken von Islamisten. Auch habe es zahlreiche Wahlrechtsverstösse gegeben. Nach Medienberichten wurden landesweit neunzehn Menschen bei Tumulten verletzt. Eine Frau kam im Gedränge ums Leben; sie wollte im Kairoer Nobelstadtteil Samalek ihre Stimme abgeben.
In Kairo attackierten hunderte Islamisten am Abend die Zentrale der liberalen Wafd-Partei. Nach Angaben des Online-Portals «Egypt Independent» hörte man Schüsse; Feuerwerkskörpern flogen und Tränengasgranaten.
Bedroht von bärtigen Männern
Aus anderen Regionen gab es ähnliche Berichte. Oppositionell gestimmte Wähler seien von bärtigen Männern eingeschüchtert worden. In Alexandria übernahmen laut der Zeitung «Al-Ahram» Salafisten die Aufsicht über das Wahllokal in einer Schule. Sie forderten von den Wählern, mit Ja zu stimmen. Von solchen Vorfällen berichtet auch SRF-Korrespondent Pascal Weber.
26 Wahllokale in Kairo, Alexandria und in zwei Provinzen seien ohne juristische Aufsicht gewesen. Das behaupten oppositionelle Richter. Das Justizministerium wies die Anschuldigung zurück.
Die Auseinandersetzung um die Verfassung hat das bevölkerungsreichste arabische Land tief gespalten. Die Opposition wirft den Islamisten vor, sie wollten Ägypten in Richtung Gottesstaat lenken. Viele Anhänger von Mohammed Mursi, dem amtierenden Staatspräsidenten, wünschen sich genau dies: einen Gottesstaat. Das Referendum ist in ihren Augen eine Abstimmung für oder gegen den Islam.