US-Präsidenten pilgern selten mit ihrer Entourage auf den Kapitolshügel. Gestern war so ein Tag. Präsident Joe Biden schob seinen Abflug nach Europa hinaus, um den Gang zu den widerspenstigen demokratischen Parteigenossen zu machen. Seit Monaten verhandeln die Demokraten das Sozial – und Klimapaket von Biden unter sich. Es ist das Kernstück seiner «Build-Back-Better»-Agenda.
Biden soll hinter verschlossenen Türen den Demokraten eingehämmert haben, sie würden seine Wiederwahl und die Mehrheit im Kongress aufs Spiel setzen, wenn sie die zwei Vorlagen – eine für die Infrastruktur, eine für den Ausbau des Sozialstaats und Klimamassnahmen – nicht endlich verabschieden.
Klima- und Sozialvorlage gestutzt
Die Demokraten verfügen bloss über eine hauchdünne Mehrheit in beiden Kammern und benötigen deshalb jede Stimme aus den eigenen Reihen, um die Pakete durchzubringen. Das macht für einzelne Abgeordnete die Versuchung gross, erpresserische Taktiken anzuwenden.
So handelten die beiden demokratischen Abgeordneten Joe Manchin und Kyrsten Sinema zu zweit die Klima- und Sozialvorlage auf 1.75 Billionen Dollar hinunter – auf die Hälfte der ursprünglich geplanten Investitionen. Sie verhinderten eine Erhöhung der Unternehmenssteuern und eine Reichen-Steuer. Die Lobbyisten der US-Konzerne haben ganze Arbeit geleistet.
Linke verzögern Abstimmung
Doch nun schmollen und sperren die Links-Progressiven im Repräsentantenhaus. Sie liessen am Donnerstag eine geplante Abstimmung über die Infrastruktur platzen. Sie wollen die Details der Gesetze ausführlich studieren und suchen in allerletzter Minute nach neuen Forderungen, die sie stellen können. Obwohl sie signalisiert haben, dass sie mit den finalen Eckpunkten aus dem Weissen Haus zufrieden sind.
Das sind Spiele, die nirgendwohin führen. Die Demokraten werden in Bälde beide Vorlagen verabschieden. Sie können sich einen Schiffbruch schlicht nicht leisten. Das war von Anfang an klar. Doch Biden braucht den Sieg jetzt.
Sinkende Umfragewerte
Er braucht ihn, um am Klimagipfel in Glasgow glaubwürdig auftreten zu können. Er braucht ihn, um seine Beliebtheitskurve wieder nach oben zu biegen. 51 Prozent der Befragten finden inzwischen, Joe Biden mache keinen guten Job.
Die Demokraten brauchen den Sieg, um in Virginia am kommenden Dienstag die Gouverneurswahlen zu gewinnen, und sie brauchen ihn, um gestärkt in den Midterm-Wahlkampf zu steigen.
Eigentlich kein Grund zum Meckern
Je länger sie das Theater um die Infrastruktur-Pakete des eigenen Präsidenten fortführen, desto weniger wird der Sieg zählen. 1.75 Billionen Dollar Sozial- und Klimaausgaben, und 1 Billion für die Infrastruktur: Solch massive Geldspritzen sind selten möglich in Washington. Doch die Demokraten meckern lieber, statt zu feiern.