Laut der «New York Times» ist der US-Auslandsgeheimdienst CIA mitverantwortlich, dass geheime Milizen in Afghanistan Menschen folterten. Die Rede ist auch von Terror gegen die Zivilbevölkerung. Das alles geschah oder geschieht ausserhalb der Kontrolle staatlicher Organe.
Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig ist über die Berichte nicht erstaunt. Er selber habe von Opfern solcher Übergriffe erfahren, als er in der fraglichen Region Chost im Osten Afghanistans das UNO-Büro geleitet habe.
SRF News: Wie glaubwürdig sind die in der «New York Times» geäusserten Vorwürfe gegen die CIA?
Thomas Ruttig: Ich finde den Bericht glaubhaft. Seit Beginn der US-geführten militärischen Intervention in Afghanistan 2001 gibt es immer wieder Berichte über solche Vorfälle.
Die fraglichen Milizen seien seit 2012 unter afghanischer Kontrolle, schreibt die NYT. Welche Rolle spielt die CIA heute noch?
«Unter afghanischer Kontrolle» bedeutet afghanischer Geheimdienst NDS. Diese Behörde wurde von den Amerikanern seit 2001 umgebaut, wobei die CIA eine Hauptrolle spielte. Deshalb verfügt der US-Geheimdienst beim NDS bis heute über grossen Einfluss und auch über Einsicht in dessen Arbeit. Die Amerikaner können jetzt nicht einfach sagen, sie hätten damit nichts zu tun.
Die CIA kennt die Methoden der Milizen – schliesslich hat sie der US-Geheimdienst an die Afghanen weitergegeben.
Man kann davon ausgehen, dass die Amerikaner die Methoden des NDS kennen, schliesslich wurden diese von der CIA weitergegeben. In den NDS wird im Vergleich zu Armee und Polizei sehr viel Geld investiert. An den NDS-Hauptstandorten in den afghanischen Provinzen stehen sehr moderne Gebäude, was ohne massive Hilfe der Amerikaner kaum möglich wäre.
Was genau weiss man über die fraglichen Milizen?
Genaue Zahlen gibt es keine. Die NYT berichtet von 3000 bis 10'000 Mann pro Milizen-Einheit. Meinen Informationen zufolge liegt die Zahl pro Einheit eher am unteren Ende dieser Spanne. Die angegebenen 10'000 Mann beziehen sich womöglich auf landesweite Strukturen. Offenbar existieren sehr unterschiedliche Milizen-Einheiten, die teilweise mit US-Spezialkräften wie den Special Forces, der CIA oder anderen US-Geheimdiensten zusammenarbeiten. Wir wissen aus mehreren Provinzen, dass es ähnliche Milizen-Verbände gibt.
Irreguläre Verbände haben sozusagen freie Hand – auch für schwarze Operationen.
Die USA haben derzeit offiziell rund 14'000 Soldaten in Afghanistan stationiert – wieso brauchen sie zusätzlich eine Milizarmee unter dem Einfluss der CIA?
Irreguläre Verbände – seien es nun amerikanische oder afghanische – sind nicht ans Kriegsvölkerrecht gebunden. Sie haben sozusagen freie Hand – auch für schwarze Operationen. Dazu gehören etwa nächtliche Überfälle auf Wohnhäuser, um angebliche Taliban auszuschalten. Seit dem Höhepunkt des Miltiärengagements der US-geführten Koalition in Afghanistan mit 140'000 Mann im Jahr 2009 ist die Zahl der offiziell anwesenden ausländischen Soldaten auf rund 20'000 massiv zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl an privaten Sicherheitsdienstleisten und sicher auch an irregulären Truppen stark angewachsen.
Laut der NYT treibt das Vorgehen der irregulären Milizen die Bevölkerung geradezu in die Hände der Taliban. Sehen Sie das auch so?
Auf jeden Fall. Das betrifft vor allem Familienverbände und Dorfgemeinschaften, die zum Ziel solcher verdeckter Operationen werden und womöglich Verwandte verlieren. Diese Tendenz gibt es schon seit Anfang des Krieges in Afghanistan Ende 2001. Gleichzeitig sehen viele Afghanen, die von den irregulären Operationen nicht direkt betroffen sind, diese auch positiv. Denn in manchen Regionen wurden die Taliban dank der von den Milizen angewandten drastischen Mitteln tatsächlich in die Schranken gewiesen.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.