Nach einer tagelangen Blockade ist der einzige nicht von Israel kontrollierte Grenzübergang in den Gazastreifen für Hilfsgüter geöffnet worden. Rund 20 Lastwagen mit lebenswichtigen Hilfsgütern konnten in den Gazastreifen fahren. Die humanitäre Lage der dortigen Bevölkerung ist aber laut Hilfsorganisationen nach wie vor dramatisch. Dies bestätigt auch die Mediensprecherin des UNO-Palästinenserhilfswerks UNRWA, Juliette Touma.
SRF News: Erstmals durften heute 20 Lastwagen mit Hilfsgütern von Ägypten nach Gaza fahren. Was braucht es weiter?
Juliette Touma: Wir begrüssen die Hilfslieferung von heute – diese wird dringend benötigt. Gaza ist seit zwei Wochen abgeriegelt. Aber die Hilfe ist ein Tropfen auf den heissen Stein. Bevor der Krieg begonnen hat, kamen in Gaza 100 Lastwagen mit humanitärer Hilfe und Treibstoff an – pro Tag. Die 20 Lastwagen von heute sind ein Anfang, aber wir brauchen regelmässige und nachhaltige Hilfe für Gaza.
Welche Güter brauchen die Menschen in Gaza am dringendsten?
Besonders wichtig ist Treibstoff. Dieser konnte heute nicht geliefert werden. Treibstoff ist etwa zentral für die Wasserversorgung in Gaza. Der Treibstoff wird benötigt, um das Wasser ins öffentliche Netz zu pumpen und für die Entsalzungsanlage, denn das Wasser in Gaza ist besonders salzhaltig.
Die Menschen in Gaza sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Ausserdem benötigen wir Treibstoff, um den Betrieb von UNRWA aufrechtzuerhalten: Damit unsere Leute sich mit Autos fortbewegen können und für die Generatoren. Auch die Spitäler im Gazastreifen benötigen dringend Treibstoff, damit sie funktionieren können.
Was droht, wenn keine weiteren Hilfslieferungen nach Gaza gelangen?
Ich bin regelmässig in Gaza, erst letzten Monat war ich dort. Die Situation war schon vor Kriegsbeginn sehr angespannt. Seit 16 Jahren ist der Gazastreifen mehr oder weniger abgeriegelt, der Zugang ist stark eingeschränkt. Über eine Million Menschen ist abhängig von UNRWA-Nahrungshilfe. 80 Prozent der Menschen leben in Armut und Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet – die Menschen in Gaza sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Die aktuelle Situation birgt die Gefahr, dass die Menschen dehydriert werden oder dass Krankheiten ausbrechen.
In vielen der Schulen, die wir betreiben, haben nun Flüchtlinge Zuflucht gesucht. Dass die Schulen vorerst geschlossen werden mussten, hat Auswirkungen auf 300'000 Schülerinnen und Schüler.
Es gibt unterschiedliche Angaben zur Verfügbarkeit von Trinkwasser in Gaza. Israel sagt, man versorge den Süden des Gazastreifens wieder mit Wasser. Menschen vor Ort jedoch berichten, sie hätten keinen Zugang zu Trinkwasser.
Die Wasserversorgung in Gaza ist komplex. Es gibt verschiedene Wasserquellen: Wasser aus dem öffentlichen Netzwerk – welches stark beeinträchtigt wurde –, Wasser von Pumpstationen und Wasser von der Entsalzungsanlage. Vor dem Krieg haben ausserdem private Firmen aus Israel per Lastwagen Wasser nach Gaza geliefert. Das ist derzeit nicht mehr der Fall.
Nur 10 Prozent der Bevölkerung haben derzeit Zugang zu Wasser. Dieses Wasser muss desinfiziert und entsalzen werden, wofür Treibstoff benötigt wird. Viele Menschen trinken derzeit ungereinigtes Wasser aus Brunnen oder Wasser, welches sie sonst nur zum Giessen von Pflanzen brauchen würden. Die aktuelle Situation birgt die Gefahr, dass die Menschen dehydriert werden oder dass Krankheiten ausbrechen.
Das Gespräch führten Anita Bünter und Jonas Bischoff.