Nach den USA und Grossbritannien will auch die EU erstmals Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im Westjordanland verhängen. Darauf haben sich die Mitgliedstaaten in Brüssel verständigt. Die EU habe damit immerhin die Gewalt von Siedlern gegen die palästinensische Bevölkerung als ernsthaftes Problem anerkannt, sagt Auslandredaktorin Susanne Brunner.
SRF News: Welchen Einfluss haben diese Sanktionen auf die Siedlerinnen und Siedler im Westjordanland?
Susanne Brunner: Zunächst gar keinen: Die EU-Staaten haben sich zwar grundsätzlich auf Sanktionen geeinigt, aber noch nicht auf konkrete Massnahmen wie die USA. Dort nimmt Präsident Biden notorisch gewalttätige Siedler im besetzten Westjordanland ins Visier. Mit dem Ziel, sie von US-Finanzinstitutionen auszuschliessen, ihnen also den Geldhahn für illegale Siedlungen zuzudrehen. Dazu kommen Einreisebeschränkungen. Die 27 EU-Staaten folgen den USA und Grossbritannien im Grundsatz. Das ist neu für die EU.
Wie reagiert die israelische Regierung auf die Ankündigung der EU?
Siedlerpolitiker wie Finanzminister Bezalel Smotrich kritisieren solche Sanktionen scharf. Laut ihm können nur solche Siedlungen Israel vor Terror schützen. Mit Sanktionen würden über eine halbe Million israelische Staatsangehörige pauschal kriminalisiert und ein palästinensischer Terrorstaat gefördert. Es gibt aber Israelis aus linken Kreisen und Friedensorganisationen, welche die Sanktionen begrüssen.
Die palästinensische Bevölkerung ist zunehmend schutzlos hemmungsloser Gewalt ausgesetzt.
Wie nimmt die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland den Entscheid auf?
Sie finden die Sanktionen des Westens zynisch und lachhaft, wie mir ein Augenschein vor Ort in den letzten Tagen zeigt. An ihrem Alltag ändern diese vorerst nichts – zumal sich die EU noch nicht auf konkrete Sanktionen geeinigt hat. Die palästinensische Bevölkerung ist zunehmend schutzlos hemmungsloser Gewalt ausgesetzt: Radikale Siedler zünden ihre Häuser an, sperren sie von ihren Olivenhainen und Feldern aus, übernehmen ihr Land und töten sogar. Gewalttäter müssen sich in Israel nur sehr selten vor Gericht verantworten, vor allem seit radikale Siedlerpolitiker in der Regierung sitzen. Diese haben in den letzten Monaten Zehntausende von Waffen an Siedler und Siedlerinnen verteilt.
Sind die geplanten Massnahmen der EU nicht besser als nichts?
Die EU zeigt damit immerhin, dass sie die Gewalt israelischer Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung als ernsthaftes Problem erkannt hat. 27 Mitgliedstaaten auf einen Nenner zu bringen, ist schwierig. Im konkreten Fall ist es eine Premiere, aber vorläufig nicht mehr als ein Zeichen.
Im aktuellen Umfeld des Krieges stehen Palästinenser eh unter Generalverdacht, und Israel ist erschüttert von der Gewalt am 7. Oktober.
Was wäre besser als solche Sanktionen?
Gewalttäter konsequent zu bestrafen – egal ob israelisch oder palästinensisch –, wäre sicher wirksamer als ein internationales Bekenntnis zu Sanktionen. Im aktuellen Umfeld des Krieges gegen die Hamas stehen Palästinenser ohnehin unter Generalverdacht, und Israel ist erschüttert von der Gewalt am 7. Oktober. Die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland starrt fassungslos nach Gaza. In diesem Umfeld wirkt die Absicht der EU, im Prinzip Sanktionen gegen ein paar gewalttätige jüdische Siedler zu verhängen, wie «Pflästerlipolitik».
Das Gespräch führte Raphael Günther.