Seit dem Hamas-Angriff vor einem Jahr herrscht Krieg im Nahen Osten. Die Fronten sind verhärtet. Und doch gibt es Menschen, die die Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern suchen, so wie Rachel Halpern. Die Jüdin aus Bern ist Co-Präsidentin der NGO New Israel Fund Schweiz. Sie erklärt die Herausforderungen und Chancen der Versöhnungsarbeit.
SRF: Heute am Jahrestag des Hamas-Angriffs gibt es viele Gedenkanlässe für die Opfer. Wie wichtig ist das für die jüdischen Menschen in der Schweiz?
Rachel Halpern: Das ist sehr wichtig, auch wenn es seit dem 7. Oktober ein Dauerthema ist. Es ist nicht so, dass wir ein Jahr lang nicht daran gedacht hätten, sondern der 7. Oktober 2023 hat gar nie aufgehört. Es ist besonders schmerzhaft, auch da über 100 Geiseln noch in Gaza festgehalten werden.
Ihre NGO setzt sich dafür ein, dass es einen Dialog zwischen Israelis und Palästinenserinnen gibt. Was wird konkret getan?
Der New Israel Fund ist eine Organisation in Israel und es gibt Ableger in der ganzen Welt, unter anderem in der Schweiz. Hier betreiben wird Fundraising für Israel. Vor Ort verteilt der New Israel Fund diese Spenden an etwa 300 Organisationen. Diese Organisationen setzen sich nicht nur für den Dialog ein, sondern auch für Menschenrechte, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Religionsfreiheit.
Wenn der Krieg irgendwann zu einem Ende kommt, wird es viel Arbeit in der Versöhnung oder Beruhigung brauchen.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen, wie der Dialog gefördert wird? Bringen Sie zum Beispiel eine Israelin und einen Palästinenser an einen Tisch?
Ein Beispiel ist das Parents Circle-Families Forum. Diese Organisation unterstützt Angehörige von Opfern des Konflikts auf beiden Seiten. Israelis, deren Familienmitglieder bei Anschlägen ums Leben kamen, und Palästinenser, die Angehörige durch das israelische Militär verloren haben, kommen zusammen. Sie versuchen, gemeinsam zu trauern und zu reden. Sie treten auch gemeinsam an Schulen auf.
Es ist schwierig, hoffnungsvoll zu bleiben, denn die Situation ist bedrückend.
Gelingt es, Versöhnung oder – wenigstens ein Stück weit – ein Aufeinanderzugehen zu erreichen?
Ja, bei diesen Leuten auf jeden Fall. Aber es braucht Offenheit. Es ist für die Leute nicht einfach, persönliche Gefühle, vielleicht auch Rachegelüste oder Hass, zu überwinden und offen zu sein, um mit der anderen Seite zu reden. Aber es gelingt. Im Moment ist es noch sehr im Kleinen. Aber es gibt einige Organisationen. Viele Leute sind auch froh um die Möglichkeiten.
Braucht es mehr Versöhnungsarbeit innerhalb Israels?
Absolut. Die Spaltung in der israelischen Gesellschaft macht uns grosse Sorgen. Israel ist eine heterogene Gesellschaft, aber die aktuelle Regierung hat diese Spaltung zum Teil befeuert. Wenn der Krieg irgendwann zu einem Ende kommt, wird es viel Arbeit in der Versöhnung oder Beruhigung brauchen.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass es wieder friedlichere Zeiten geben kann?
Es ist schwierig, hoffnungsvoll zu bleiben, denn die Situation ist bedrückend. Was mir Hoffnung gibt, ist, dass ich selbst aktiv sein kann. Und ich bewundere das Engagement der Organisationen und Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort. Wenn ich sehe, wie Direktbetroffene es schaffen, aufeinander zuzugehen, dann denke ich, dass es auch anderen möglich sein muss. Das ist das, was mir Hoffnung gibt.
Das Gespräch führte Silvia Staub.