SRF News: Warum ist Israel für die Evangelikalen so wichtig?
Georg Schmid: Jerusalem ist die Hauptstadt Israels. Und Israel ist für die Evangelikalen wichtig, weil viele von ihnen in der Gründung des Staates Israel 1948 eine Erfüllung von Prophezeiungen aus dem Alten Testament sehen. Zudem sehen sie darin auch ein Zeichen, dass diese Weltgeschichte bald zu Ende sein wird und bald ein universales Friedensreich anbrechen wird. Die Stadt ist natürlich sehr wichtig, als Ort wo Jesus gelebt hat und gestorben und auferstanden ist.
Der amerikanische Evangelikalismus ist die Strömung, an der sich junge Evangelikale in der Schweiz orientieren.
Wie weit verbreitet ist dieser Glaube in der Schweiz?
Unter Evangelikalen ist die Freundschaft zu Israel und die besondere Bedeutung Israels ganz klar mehrheitsfähig. Es gibt gewisse Evangelikale, welche die israelische Politik auch kritisieren können. Aber in weiten Kreisen des Evangelikalismus wird Israel durch alle Böden hindurch verteidigt. Das ist sehr weit verbreitet.
Die Evangelikalen in den USA sind sehr wichtig. Wie eng ist die Beziehung von amerikanischen Evangelikalen zu Schweizer Evangelikalen?
Der Evangelikalismus in den USA hat eine sehr grosse Bedeutung für Schweizer Evangelikale. Zum Beispiel in Sachen Literatur: Wenn Sie evangelikale Buchhandlungen besuchen, dann kommt ein Grossteil der dort angebotenen Literatur aus den USA. Das sehen sie auch an den Fernsehsendungen mit amerikanischen Predigern, die intensiv geschaut werden und die neuen Wellen und Trends im Evangelikalismus, die in den USA entstehen und mit etwas Verzögerung in der Schweiz auftauchen. Der amerikanische Evangelikalismus ist ganz entscheidend für die Schweizer Evangelikalen.
Hat das zugenommen in den letzten Jahren?
Das hat ganz klar zugenommen. Vor 100 Jahren waren die Schweizer Evangelikalen stark geprägt durch den deutschen Pietismus. Das ist eine eigenständige Entwicklung im deutschsprachigen Raum. Und bei älteren Evangelikalen treffen Sie das auch heute noch an. Aber für jüngere Evangelikale sind die USA ganz klar das Vorbild. Der amerikanische Evangelikalismus ist die Strömung, an der sich junge Evangelikale in der Schweiz orientieren.
Homosexualität wird in weiten Kreisen des Evangelikalismus weniger negativ gesehen als bis noch vor Kurzem.
Die amerikanischen Evangelikalen sind sehr einflussreich. Sie haben ja auch enge Beziehungen zum jetzigen Präsidenten Donald Trump. Sie sind auch oft zu Besuch im Weissen Haus. Wie ist die politische Einflussnahme in der Schweiz?
In der Schweiz sind es ja zwei Parteien, in denen Evangelikale gehäuft tätig sind. Das ist einerseits die EDU, die rechts politisiert und andererseits die EVP, die in der Mitte tätig ist. Dann gibt es aber auch Evangelikale in anderen Parteien, wie SVP, FDP und SP. Aber der politische Einfluss der Evangelikalen in der Schweiz ist natürlich nicht zu vergleichen mit der in den USA. Das hat auch damit zu tun, dass die Evangelikalen zahlenmässig wesentlich weniger zahlreich sind als in den USA. In der Schweiz haben wir vielleicht zwei, wenn es hoch kommt drei Prozent Evangelikale in der Bevölkerung. In den USA sind es vielleicht 20 bis 30 Prozent Anteil der Bevölkerung. Das sind natürlich ganz andere Verhältnisse.
Gibt es so etwas wie eine Radikalisierung zu beobachten – besonders in Bezug auf die Themen Israel und Jerusalem?
Das kann man so nicht sagen. Es gibt Entwicklungen in alle Richtungen. Es gibt Evangelikale, evangelikale Gemeinschaften, aber auch viele evangelikale Personen, die sich beispielsweise gesellschaftlichen Entwicklungen gegenüber öffnen. Homosexualität wird in weiten Kreisen des Evangelikalismus weniger negativ gesehen als bis noch vor Kurzem. In den USA gibt es evangelikale Gemeinschaften, wo «Gay Marriage» bereits akzeptiert ist. Auch in der Schweiz wird das kommen. Und dann gibt es auf der anderen Seite Strömungen, die fundamentalistischer werden, sich radikalisieren. Aber diese Prozesse halten sich in etwa die Waage. Man könnte jetzt nicht sagen, die evangelikale oder die freikirchliche Szene werde generell radikaler oder offener. Beide Prozesse sind da.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.