Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell weilt derzeit in Russland, um einen Dialog mit dem russischen Aussenminister Sergej Lawrow über den Fall Alexej Nawalny, den Ukraine-Konflikt und den Corona-Impfstoff «Sputnik V» zu führen.
Es geht bei diesem Treffen aber nicht um eine Annäherung zwischen der Europäischen Union und Russland, sondern um Klärungen von heftig umstrittenen Punkten. Das Verhältnis ist so stark belastet wie seit vielen Jahren nicht mehr.
Diplomatisches Druckmittel im Fall Nawalny
Es wurde erwartet, dass Josep Borrell nach seinen Stellungnahmen während der Woche in Moskau die Freilassung von Alexej Nawalny fordern wird. Um den diplomatischen Druck auf Moskau auszubauen, ist es wichtig, dass Borrell diese Forderung bei einer Pressekonferenz direkt bei Lawrow äussern konnte.
Auch wenn die russischen Journalistinnen und Journalisten dann nicht am Fall Nawalny interessiert waren, sondern Fragen wie zur Beziehung zwischen der EU und Kuba stellten, wurde die Position der EU im Fall Nawalny unüberhörbar in Moskau platziert.
Trotz dieses diplomatischen Druckmittels ist es unwahrscheinlich, dass Alexej Nawalny durch die russischen Behörden freigelassen wird. Auf Seiten der EU gibt es aber noch weitere Möglichkeiten, um im Fall Nawalny Druck zu machen.
Spätestens Ende Februar werden die 27 Aussenministerinnen und Aussenminister der EU, zusammen mit Josep Borrell, über weitere Sanktionen beraten. Es wird dann wohl darum gehen, die bereits bestehende Sanktionsliste, auf der sich mehrere Personen und eine Organisation aus Russland befinden, zu ergänzen.
Denkbar wären auch Wirtschaftssanktionen. Diese würden allerdings für die Zivilbevölkerung direkte Auswirkungen haben und würden das Verhältnis zwischen der EU und Russland weiter stark belasten. Solche Sanktionen müssen daher gut überlegt sein und werden von der EU selten verhängt.
Ein weiteres Druckmittel wäre der Ausstieg aus dem Projekt der Erdgas-Pipline Nord Stream II. Die Entscheidung darüber liegt aber in Berlin und nicht in Brüssel.
Gegenseitige Abhängigkeit
Auch wenn das Verhältnis zwischen Brüssel und Moskau zurzeit verhärtet ist, ist es wichtig, dass möglichst konstruktive Gespräche zwischen der EU und Russland weiterhin stattfinden können. Viele EU-Mitgliedsstaaten sind auf russische Energieressourcen angewiesen und die EU ist die grösste Handelspartnerin Russlands.
Dazu kommen geopolitische Konflikte wie in Syrien, Libyen oder im Südkaukasus, bei denen Russland eine zentrale Rolle spielt. Wenn die Europäische Union in der Konfliktlösung eine entscheidende Rolle spielen möchte, ist der russische Präsident Putin einer der zentralen Gesprächspartner.
Die Europäische Union wird folglich nicht bis zum Äussersten gehen, wenn es um die Freilassung von Alexej Nawalny oder eine Lösung des Ukraine-Konflikts geht. Sie wird aber bei mutmasslichen Verstössen gegen die Menschenrechte in Russland nicht zurückhaltend sein mit der Verhängung von Sanktionen wie dem Einfrieren von Vermögen oder Einreisesperren für beteiligte Personen aus Russland.