Die Nachricht über die Freilassung des russischen Investigativ-Journalisten Iwan Golunow löste eine Welle der Euphorie in der russischen Hauptstadt aus. Völlig untypisch für Russland wurde das laufende Strafverfahren gegen den Journalisten per sofortiger Wirkung eingestellt.
Statistisch gesehen sind die Chancen dafür in Russland verschwindend klein: So kommt es in mehr als 99 Prozent aller Verfahren zu einem Schuldspruch.
Spitze des Eisberges
Seit der Fall von Iwan Golunow seinen Lauf nahm, zeigten sich selbst abgehärtete russische Journalisten schockiert. Wenn der bekannte Journalist Golunow mit dubiosen Drogenvorwürfen vor Gericht gezerrt wurde, konnte sich keiner mehr sicher fühlen.
So gross die Erleichterung über die heutige Freilassung des Journalisten zu Recht auch ist, wird das russische Justiz- und Polizeiwesen damit insgesamt nicht gerechter – und schon gar nicht sicherer. Bei den jährlich rund 100’000 Urteilen in Zusammenhang mit Drogendelikten, kommt es laut Experten in einem erheblichen Anteil aller Fälle zu Unstimmigkeiten bei der Beweisführung.
Die Willkür, die den Staat für seine Bürger unberechenbar macht, bleibt bestehen und die unter ebenso fragwürdiger Beweislage angeklagten Iwans von Sibirien bis Sotschi werden auch Morgen im Gefängnis aufwachen.
Keine glaubwürdige Kehrtwende
Die Begründung der Behörden ist auf den ersten Blick für Russland revolutionär, da sie die plumpe Beweisführung der Polizei im vorliegenden Fall anerkennt. Der russische Innenminister erklärte, man werde mangels Beweisen das Verfahren einstellen.
Zu diesem Entschluss geführt hätten die ausführlichen Tests im Labor. Damit bestätigt der Innenminister zwar die Aussagen des Journalisten. Doch es wirkt wenig glaubwürdig, dass die Untersuchungsbehörden innerhalb von 48 Stunden ihren Standpunkt um 180 Grad drehen können. Noch am Sonntag wurde im staatlich kontrollierten Fernsehen eine Reportage aus dem Labor der Polizei präsentiert, über die angeblich detaillierte Beweisführung im Fall.
Eine Frage der Macht
Die Behörden ermitteln nun nicht mehr gegen den Journalisten, sondern gegen die Polizisten, die bei Golunow Drogen gefunden haben wollen. Die Redaktion von Iwan Golunow stellt sich auf den Standpunkt, dass die Kehrtwende im Fall nur dank der weltweiten Kampagne unter Journalisten und der Solidarität der Bürger möglich gewesen sei.
Doch wer den Machtkampf hinter den Kulissen verloren hat, zeigt sich höchstens dann, wenn die Hintermänner gefasst werden. Für Präsident Wladimir Putin lässt sich die Freilassung des Journalisten als Vorzeigebeispiel für Recht und Ordnung im Land nutzen.
Ein für heute angekündigter Demonstrationsmarsch wird seitens der Redaktion und des Journalisten persönlich nicht weiter unterstützt. Die Organisatoren sind sich uneinig darüber, wie der Protest nun weitergeführt werden soll. Mehr Aufmerksamkeit hätten auch die weniger bekannten Bürger auf der Anklagebank verdient.