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Journalistenrecherche Wie russische Forschungsschiffe offenbar die Ostsee ausspionieren

Sie sind als Forschungsschiffe getarnt, in der Tat spionieren sie in der Ostsee systematisch Pipelines, Datenkabel oder auch Windparks aus: Russische Schiffe – offiziell unterwegs für wissenschaftliche Zwecke – sammeln so offenbar Daten über Infrastrukturen im Meer. Das haben Journalistinnen und Journalisten aus verschiedenen Ländern rund um die Ostsee herausgefunden. An der Recherche beteiligt war auch Benedikt Strunz vom «Norddeutschen Rundfunk NDR».

Benedikt Strunz

Investigativ-Journalist

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Benedikt Strunz ist seit 2011 als investigativer Journalist für den deutschen Sender NDR tätig. Sein Fachgebiet ist die organisierte Kriminalität. Seine Recherchen sind im NDR-Podcast «Organisiertes Verbrechen» zu hören. Für seine Arbeiten zu den Panama und Paradise Papers wurde er ausgezeichnet.

SRF News: Benedikt Strunz, was war der Auslöser für diese Recherche?

Benedikt Strunz: Russland verfügt über etwa 70 Forschungsschiffe. Das sind Schiffe, die ausgerüstet sind mit sehr sensibler Sonartechnik, teilweise mit militärischen Radaranlagen, mit Laboren und Kranaufbauten, die U-Boote oder Unterwasserdrohnen ablassen können. Schon lange gibt es Gerüchte, dass diese Schiffe, die überwiegend dem russischen Verteidigungsministerium angehören, spionieren. Und wir wollten herausfinden, ob das stimmt.

Seit dem Ukrainekrieg sind diese Schiffe vor allem in der Nord- und Ostsee unterwegs.

Sie sind dann also diesen Gerüchten nachgegangen. Was haben Sie konkret herausgefunden?

Wir haben über 1000 Morsennachrichten gesammelt und dekodiert sowie die Schiffsbewegungen nachverfolgt. Nun können wir sagen: Seit dem Ukrainekrieg sind diese Schiffe vor allem in der Nord- und Ostsee unterwegs. Wir haben über 60 sogenannte Kriechfahrten identifizieren können. Das sind verdächtige Fahrten, bei denen die Schiffe sehr langsam fahren oder auch für eine Weile stehen bleiben. Das findet in der Regel immer in der Nähe von kritischer Unterwasserinfrastruktur statt.

Offshore-Windkraftanlagen und Boote auf dem Meer.
Legende: Russische Forschungsschiffe spionieren offenbar in der Ostsee systematisch Pipelines, Datenkabel und auch Windparks aus, wie ein Recherche-Team herausgefunden hat. Keystone/ Jens Büttner

Können Sie ein Beispiel machen für eine solche Kriechfahrt?

Ein Schiff welches zum Forschungsprogramm der russischen Marine gehört, ist im vergangenen Oktober auf einem Seegebiet, auf dem die Nato U-Boote testet, für 24 Stunden Zickzackmuster gefahren und hat immer wieder angehalten.

Ziel sei es, dass die Forschungsschiffe diese Daten ans Militär weitergeben, um für mögliche Sabotageanschläge gerüstet zu sein.

Wir konnten mit Quellen sprechen, die selbst auf solchen Schiffen gearbeitet haben. Sie sagten uns, dass sie bei solchen Zickzackfahrten Taucher ausbringen oder mit ihrem Sonar vermessen. Militärquellen aus dem Bereich U-Boote und Kriegsführung haben uns dann gesagt: Das ist ganz klar, was sie da gemacht haben. Sie haben versucht U-Boote auszuspionieren.

Was ist «Sonar»?

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Sonar ist eine Technik, bei der Schallwellen verwendet werden, um Objekte unter Wasser oder in der Atmosphäre zu lokalisieren und Entfernungen zu messen. Sie funktioniert, indem ein Schallimpuls ausgesendet wird, der auf Objekte trifft und als Echo zurückkehrt. Anhand der Zeit, die das Echo braucht, um zurückzukommen, kann die Entfernung zum Objekt bestimmt werden. Sonar wird unter anderem in der Schifffahrt, in der U-Boot-Ortung und in der Meeresforschung eingesetzt.

Was will denn Russland mit diesen Daten?      

Eine betroffene Gasleitung, die von russischen Forschungsschiffen ausspioniert wurde, ist die Europipe. Das ist eine grosse Gasleitung, die Gas von Norwegen nach Deutschland bringt. Die besagte Quelle erklärte uns, sie würden schauen, wo es Schwachstellen gäbe. Ziel sei es, dass die Forschungsschiffe diese Daten ans Militär weitergeben, um für mögliche Sabotageanschläge gerüstet zu sein. Der Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes sagte uns: Wir haben die Sorge, dass hier Sabotagehandlungen vorbereitet werden, die dann bei einer Zuspitzung der jetzigen Situation einfach gezündet werden.

Wir haben noch viel zu tun, wenn wir unsere kritische Meeresinfrastruktur schützen wollen. 

Wie können sich die Länder gegen solche Spionagetätigkeiten schützen?       

Ich glaube, komplett schützen kann man sich nicht. Morgen ist es zwei Jahre her, dass es Explosion an den Nord-Stream-Pipelines gab. Seither haben wir deutlich zu wenig gemacht, um unsere kritische Infrastruktur zu schützen. Wir brauchen bessere gesetzliche Regelungen, bessere technische Lösungen, wie Radaranlagen oder Sensorik unter Wasser. Das wurde alles nach dem Kalten Krieg abgebaut. Das, was ich von allen Beteiligten höre, ist die Botschaft: Wir haben noch viel zu tun, wenn wir unsere kritische Meeresinfrastruktur schützen wollen.

Das Gespräch führte Katrin Hiss.

SRF 4 New, 25.09.2024, 11 Uhr ; 

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