Wie wichtig Marketing ist, wissen auch Terroristen. Als das internationale Dschihadisten-Netzwerk Al-Kaida den Bürgerkrieg in Syrien nutzen will, um sich dort festzusetzen, tut es das 2012 unter dem Brand «Jabhat al-Nusra», zu Deutsch «Unterstützungsfront». Ihr Anführer: Abu Muhammad al-Dschaulani.
Seine Milizen galten als aggressiv – und erfolgreich gegen die Truppen des syrischen Machthabers Bashar al-Assad. Dass es sich um salafistische Dschihadisten handelt, war schon damals kein Geheimnis, doch vielen, die unter Assads Terror und dem Bürgerkrieg litten, erschien dies als das kleinere Übel. Zumal al-Dschaulanis Männer verglichen mit dem IS weniger brutal vorgingen.
A-Dschaulani scheint – bei allen Menschenrechtsverletzungen, die auch seine Leute verübten – auf eine, man möchte sagen, «nachhaltigere» Strategie zu setzen. Denn er ist es, der dieser Tage die Allianz anführt, die verblüffend schnell vorgerückt ist. Dies unter einem anderen Markennamen: Hayat Tahrir al-Sham (HTS), «Komitee zur Befreiung Grosssyriens». Offiziell losgelöst von Al Kaida.
Das Marketing der Terroristen
Die wechselnden Allianzen, Abspaltungen, Fusionen und Umbenennungen von Milizen – manche vom Ausland unterstützt oder gesteuert wie der Türkei oder dem Iran – füllen unzählige Bücher. Manches ist mit Differenzen zu politischen und religiösen Fragen zu erklären, anderes sind Machtkämpfe. Zumindest ein Teil scheint Marketing.
Vom Marketing der Terroristen sollte man sich nicht blenden lassen. Denn ähnlich wie die Taliban in Afghanistan verkaufen sich auch die HTS als Terroristenjäger. HTS und IS sind heute verfeindet. Wo die HTS, wie in der Provinz Idlib, Gebiete teils seit Jahren kontrolliert, wurden quasi-staatliche Institutionen aufgebaut – von der die Bevölkerung, solange sie spurt, profitieren kann. Dazu gehören eine Polizei und eine Art Strafverfolgung, um etwa gegen IS-Zellen vorzugehen.
Noch lange nicht demokratisch und freiheitlich
Nun, auf ihrem Vorstoss gegen die Assad-Truppen, werden die HTS-Kämpfer und ihre Verbündeten als «Oppositionelle» oder «Rebellen» bezeichnet. Das hat seine Berechtigung. Doch Hoffnungen, dass es sich hierbei um Oppositionelle oder Rebellen handelt, wie es sie zu Beginn der Revolution in Syrien auch unter bewaffneten Milizen noch gab, muss man als Illusion bezeichnen. Gegen den IS, gegen Assad – das ist noch lange nicht gleichzusetzen mit demokratisch und freiheitlich.
Gelingt es der HTS und ihren Verbündeten, noch mehr Gebiete als bisher in Idlib zu halten, so dürfte das für viele Menschen nur kurzfristig eine gute Nachricht sein. Denn noch immer vertritt al-Dschaulani ultrareligiöse Vorstellungen. Zwar nicht gleichzusetzen mit jenen der Taliban oder eines IS. Aber es sind doch düstere Aussichten für «Ungläubige», für Frauen und Mädchen, und auch für die teilweise selbstverwalteten Kurdengebiete.