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Schlag gegen Assad-Truppen Aktivisten: Syriens Regierung verliert Kontrolle über Aleppo

  • In Syrien sind die Kämpfe nach mehreren Jahren wieder heftig aufgeflammt.
  • Die Regierung von Präsident Assad hat die Kontrolle über Aleppo an die Rebellen verloren. Das teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit.
  • Die russische Luftwaffe setzte ihre Angriffe auf Rebellenstellungen im Nordwesten Syriens inzwischen fort.
  • Assad hat den Rebellen den Kampf angesagt. Am Sonntagabend hat er sich in Damaskus mit dem iranischen Aussenminister für eine Lagebesprechung getroffen.

Die Aufständischen drangen zum ersten Mal seit 2016 in Aleppo ein – nur drei Tage nach dem Start ihrer überraschenden Offensive gegen die Truppen von Machthaber Baschar al-Assad. Inzwischen hat die syrische Regierung nach Angaben von Aktivisten die Kontrolle über die Millionenstadt Aleppo verloren. Das sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman.

Die Stadt stehe mit Ausnahme von vier von kurdischen Milizen kontrollierten Stadtteilen vollständig unter der Kontrolle eines von der Islamistenorganisation Haiat Tahrir al-Scham (HTS) geführten Bündnisses, so Abdel-Rahman.

Kurdische Milizen besetzen Flughafen

Laut Aktivisten haben mutmasslich russische Kampfflugzeuge, welche die syrische Regierung unterstützen, am Samstag bei einem Gegenangriff mindestens 16 Menschen in Aleppo getötet. In der Nacht und am frühen Sonntag habe es russische Luftangriffe in den Provinzen Idlib, Hama und Aleppo gegeben.

Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kamen seit Beginn der Offensive in Syrien 412 Menschen ums Leben, darunter mindestens 61 Zivilisten. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Derweil ist der Flughafen von Aleppo laut Aktivisten am Samstag von kurdischen Milizen übernommen worden. Diese gehören nicht der Rebellenallianz an, scheinen nun aber teilweise das durch den Rückzug regimetreuer Truppen entstehende Machtvakuum auszufüllen. «Die kurdischen Milizen haben kein Interesse, das Terrain allein den arabischen Rebellen zu überlassen – die in Teilen von der Türkei unterstützt werden», erklärt SRF-Auslandredaktor Philip Scholkmann. Dies dürfte vor allem von der Türkei und mit ihr verbündeten Milizen in Syrien mit Sorge betrachtet werden.

Von der Türkei unterstützte Rebellen erobern Tal Rifat zurück

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Von der Türkei unterstützte Rebellen haben in Nordsyrien nach heftigen Kämpfen den Ort Tal Rifat erobert. Kräfte der Kurdenmiliz YPG hätten sich aus der Stadt im Norden Aleppos, die sie zuvor kontrolliert hätten, zurückgezogen, meldeten die protürkischen Rebellen.

Auch kurdische Militärkreise bestätigten die Entwicklung. Demnach versuchen die kurdischen Kräfte derzeit noch, kurdische Zivilisten aus der Stadt zu holen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Grossbritannien übernahmen die von Ankara unterstützten Rebellen auch weitere Orte in der Gegend. Derzeit sitzen noch rund 200'000 Kurden dort fest. Diese fürchteten sich vor Massakern durch die protürkischen Rebellen.

Die von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) kontrollieren grosse Gebiete in Nordsyrien. Die Türkei will seit langem den Einfluss kurdischer Milizen an ihrer Grenze schwächen.

Baschar al-Assad sucht Unterstützung

Assad steht seit dem Vormarsch der Rebellen im Norden des Landes unter Druck. Nach der Einnahme der Stadt Aleppo hat er den von Islamisten angeführten Kräften den Kampf angesagt und sucht Unterstützung bei internationalen Verbündeten. Mit Hilfe seiner Verbündeten und Freunde könne Syrien die Terrorattacken zurückzuschlagen, sagte Assad etwa dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Mohammed bin Sajid Al Nahjan.

Am Sonntagabend traf Assad den iranischen Aussenminister Abbas Araghtschi in Damaskus, um die Lage in Aleppo zu besprechen. Irans Aussenminister sagte ihm weiterhin Unterstützung zu. Laut syrischen Staatsmedien telefonierte Assad auch mit dem irakischen Regierungschef.

«Der Rebellenvorstoss hat Moskau auf dem falschen Fuss erwischt»

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«Die Rebellenoffensive ist eine Blamage für Putin, denn die Russen sind die militärische Schutzmacht von Assad. Sie mussten aber wegen des Ukrainekriegs Truppen aus Syrien abziehen. Das ist einer der Gründe, warum Assad nun so unter Druck gerät. Es scheint, der Kreml weiss nicht mehr, was genau in Syrien vor sich geht. Der aktuelle Vorstoss der Rebellen hat sie auf dem falschen Fuss erwischt. Die Lage in Syrien zeigt meiner Meinung nach, dass Russland militärisch überdehnt ist. Die russische Armee ist derart in der Ukraine gebunden, dass es nicht mehr recht für andere Brennpunkte reicht.»

Einschätzungen von Russland-Korrespondent David Nauer.

Aufruf des UNO-Syrien-Vermittlers

Der UNO-Sonderbeauftragte für Syrien, Geir Pedersen, sieht in der neusten Gewalteskalation «ein Zeichen des kollektiven Versagens». Er rief die syrischen Konfliktparteien und involvierte Staaten zu Verhandlungen auf. Die neuesten Entwicklungen bedrohten nicht nur die syrische Zivilbevölkerung, sondern auch die regionale und internationale Sicherheit. Er habe immer wieder vor der Gefahr gewarnt, bloss auf Konfliktmanagement statt auf Konfliktlösung zu setzen.

Schlacht um Aleppo (2012-2016)

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Aleppo war in den ersten Jahren des syrischen Bürgerkriegs stark umkämpft und wurde grossflächig zerstört. Erschütternde Aufnahmen der verwüsteten Stadt gingen damals um die Welt. 2016 wurden die Aufständischen vom syrischen Militär und dessen Verbündeten gewaltsam aus dem östlichen Teil der Stadt vertrieben. Die Schlacht um Aleppo gilt bis heute als eine der schlimmsten in mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg. Idlib ist seit Jahren in der Hand der Aufständischen.

Tagesschau, 1.12.2024, 19:30 Uhr ; 

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