Er möge Singapur – vor allem wegen des Geldes, das er hier verdienen könne, sagt der Mann über WhatsApp. Er komme aus Bangladesch und arbeite seit sieben Jahren in einer Werft als Schweisser. «Nennen Sie mich Raihan.»
Der 29-Jährige, der aus Angst seinen richtigen Namen nicht nennt, gehört zu den 300'000 ausländischen Billiglohnarbeitern, die das Rückgrat von Singapurs Wirtschaft bilden. Sie wohnen oft in übervölkerten Massenunterkünften am Stadtrand.
Abstand halten? Unmöglich
Hier wurden in diesen Tagen Tausende von Corona-Infizierten entdeckt – auch in Raihans Unterkunft. «In unserem Gebäudekomplex haben sich einige infiziert. Wir hörten von etwa 50 Personen, aber die Haus-Verwaltung gibt uns keine Auskünfte. Ich fürchte mich vor dem Virus. Unsere Unterkunft ist so überfüllt, dass es jeden treffen könnte», erzählt er.
Raihan teilt sich ein Zimmer und zwei Toiletten mit 15 weiteren Arbeitern. Auf den Fotos, die er von seiner Unterkunft schickt, stehen Kajütenbetten ohne Matratzen eng nebeneinander. Abstand halten ist unmöglich. Getestet worden sei bislang nur, wer Symptome hatte, sagt er.
Nur die «Wichtigsten» werden geschützt
«Transient Workers Count Too» – «Migranten-Arbeiter zählen auch», so heisst eine NGO, die sich für die Rechte von ausländischen Billiglohnarbeitern in Singapur einsetzt. Sie warnte schon zu Beginn der Pandemie vor einer Masseninfektion in den Arbeiterunterkünften, falls die Regierung nichts unternehme.
In der Folge wurden 7000 Personen, die besonders wichtige Arbeiten verrichten, aus den Unterkünften an andere Orte verlegt. Die Zurückgebliebenen aber habe die Regierung einfach vergessen, kritisiert Alex Au, Vizepräsident der NGO «Transient Workers Count Too»: «Singapur hat sich daran gewöhnt, seine Billiglohnarbeiter aus dem Ausland zu ignorieren. Die Anweisungen der Regierung zur Bekämpfung von Corona waren gut für Leute aus der Mittel- und Oberschicht, die auf Abstand gehen können, nicht aber für die Hunderttausenden, die auf engstem Raum leben.»
Änderung der Politik
Lange ging das Leben in Singapur auch in Corona-Zeiten weitgehend normal weiter, Schulen blieben offen, viele Restaurants auch. Das hat sich nun auf einen Schlag geändert. Die Regierung hat einen teilweisen Lockdown bis Anfang Juni verordnet. Raihan und Hunderttausende anderer Billiglohnarbeiter dürfen ihre Zimmer nicht mehr verlassen.
Das bedeute einen weitgehenden Stillstand von Singapurs Wirtschaft, und es lege die tiefen sozialen Gräben offen, sagt Alex Au: «Unsere Wirtschaft funktioniert nur mit billigen Arbeitskräften – ihnen verdanken wir unseren Reichtum. Nur wird diese soziale Ungerechtigkeit kaum diskutiert, weil wir keine Meinungsäusserungsfreiheit haben.»
Lohnfortzahlung nur für lokale Angestellte
Während der durchschnittliche Monatslohn in Singapur bei ungefähr 3500 Franken liegt, verdient ein ausländischer Bauarbeiter zwischen 300 und 600 Franken. Raihan arbeitet zwölf Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Freie Tage hat er kaum. Er verdient 400 Franken im Monat, die Hälfte davon schickt er seiner Familie nach Bangladesch, 80 Franken kostet die Miete.
Die Regierung von Singapur unterstützt jetzt zwar Firmen bei Lohnfortzahlungen, aber das gilt nur für lokale Angestellte. Der Schweisser aus Bangladesch weiss noch nicht, ob ihm ein Lohn im April ausgezahlt wird.