Dauerhaft gehe es nicht ohne Eigenverantwortung und die Mithilfe der Bevölkerung, erklärt die deutsche Aids-Expertin und ehemalige saarländische Gesundheitsministerin Regina Görner.
SRF News: Kann man eine Epidemie ohne staatliche Anordnungen bekämpfen?
Regina Görner: Es wird zwar bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auch staatliche Regeln geben müssen. Aber entscheidend ist, dass die Menschen selbst wissen, wo die Gefahren sind und was sie dagegen tun können.
Sie sagen, dass sich Regeln und Kontrolle nicht dauerhaft durchsetzen lassen. Warum nicht?
Man kann nicht neben jeden Menschen mit einem Risiko jemanden stellen, der darauf aufpasst, dass er oder sie dieses Risiko nicht eingeht. Wir sind ja auch in anderen Zusammenhängen gewöhnt, erkannte Risiken ernst zu nehmen und uns selber darum zu kümmern. Sie greifen auch nicht in einen Topf mit kochendem Wasser, weil sie wissen, wo das Problem liegt und wie sie es vermeiden können. Genau darum geht es: Wissen, was eine Gefahr ist und wie man sich darauf einstellen und Verantwortung übernehmen kann.
Wissen ist das eine. Trotzdem klappt es oft nicht. Wie haben Sie das damals während der Aids-Epidemie gemacht?
Man muss lange dranbleiben und versuchen, nicht zu viele Informationen zu geben, die nur verwirren. Das ist natürlich bei den Medien von heute ganz anders als 1985. Entscheidend ist aber, dass man konzise immer dieselben Informationen vermittelt und dass das alle in der gleichen Weise tun. Die Massnahmen müssen abgestimmt sein. Das geht nicht von heute auf morgen. Menschen brauchen eine bestimmte Zeit, bis sie lernen. Aber sie können lernen, und darauf kann man auch setzen.
Heute ist es klar, dass man sich beim Geschlechtsverkehr schützt. Ganz anders mit den Schutzmasken, wo es in der Schweiz ein Obligatorium für den öffentlichen Verkehr brauchte. Sind Schutzmasken quasi die Kondome von heute?
Ein bisschen kann man das vielleicht auch so sehen. Aber es hat natürlich damit zu tun, dass man anfangs die Bedeutung der Masken nicht so wirklich hoch eingeschätzt hat. Es war noch nicht so klar, dass die Aerosole, die wir beim Sprechen, Singen, Rufen und Lachen ausstossen, ein entscheidender Faktor bei der Verbreitung sind.
Masken können zwar nicht jede Ansteckung verhindern, aber sie sorgen für zusätzlichen Schutz für uns selbst und die Menschen um uns herum. Das muss man begreifen, auch wenn die Maske nicht besonders angenehm ist. Aber was sein muss, muss sein. Ich trage die Dinger auch nicht gern. Es ist aber auch eine Frage des Anstands gegenüber den anderen.
Alle hoffen ja darauf, dass die Regeln wegfallen, wenn ein Impfstoff da ist. Was lehrt die Aidskrise da?
Bei Aids gibt es auch nach Jahrzehnten noch keinen Impfstoff. Aber es gibt Heilmittel mit einer ziemlich komplizierten und auch belastenden Behandlung. Entsprechend würde ich davor warnen, sich einfach infizieren zu lassen. Die Betroffenen wissen das auch. Entscheidend ist, dass die Menschen begreifen und dass wir ihnen auch etwas zutrauen. Das ist meistens sehr viel wichtiger als Misstrauen und gesetzliche Vorschriften. Menschen können Verantwortung für sich selbst übernehmen, und das muss man auch einfordern.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen-Domokos.