Am Dienstag wurden 54 neue Corona-Ansteckungen gemeldet, nachdem die Zahl letzte Woche auf über 100 pro Tag geklettert war. Die tieferen Fallzahlen der letzten Tage seien zwar eine gute Nachricht, sagt SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler. Doch Grund für eine Entwarnung gebe es keinen.
SRF News: Sind die neusten, im Vergleich zur letzten Woche etwas tieferen Zahlen eine gute Nachricht?
Thomas Häusler: Fürs Erste sicher ja – die Zahlen sind nicht weiter angestiegen. Doch es bleibt noch offen, ob die tieferen Zahlen der letzten Tage wirklich eine Trendwende bedeuten. Viele Faktoren führen zu den kurzfristigen Schwankungen der Infektionszahlen: die Zahl der Tests oder reiner Zufall. Deshalb kann man aus der Betrachtung einer Periode von bloss ein paar Tagen nicht sehr viel herauslesen.
Nach einem möglichen Superspreading-Event im Club Flamingo in Zürich vor zwei Wochen befürchtete man eine grosse Zunahme der Fälle – doch die ist ausgeblieben. War es also gar kein Superspreading-Event?
Auch das ist schwierig zu sagen. Einige Ansteckungen aus dem Flamingo-Club konnten durchaus bestätigt werden. Allerdings konnte man viele Besucher gar nicht zurückverfolgen, weil sie falsche Kontaktangaben hinterlassen hatten. In der Tat aber sind auch im Kanton Zürich die Ansteckungen nach einem zwischenzeitlichen Anstieg in den letzten Tagen wieder zurückgegangen – ebenso im Kanton Aargau.
Viele haben kaum Symptome, lassen sich nicht testen, können das Virus aber trotzdem weiterverbreiten.
Es kann aber auch sein, dass man Personen, die sich im Flamingo-Club angesteckt haben, noch nicht kennt oder gar nie kennen wird. Denn viele Menschen haben keine oder kaum Symptome, lassen sich deshalb nicht testen, können das Virus aber trotzdem weiterverbreiten. Das zeigt, wie wichtig es wäre, dass das Contact-Tracing gut funktioniert.
Ist mit den aktuell wieder tieferen Zahlen die unmittelbare Gefahr gebannt, dass die Schweiz jetzt in ein exponentielles Wachstum der Ansteckungen gerät?
Das wäre schön, doch man kann sich keineswegs sicher sein. Die aktuelle Periode mit weniger Fällen könnte auch ein Ausreisser nach unten sein. Zu Beginn der Epidemie im März gab es das auch schon.
Der Trend nach oben hält schon seit Mitte Juni an.
Dann könnten auch die höheren Zahlen der letzten Woche ein Ausreisser nach oben gewesen sein?
Der Trend nach oben hält schon seit Mitte Juni an – aber der Anstieg der Zahlen letzten Woche könnte durchaus etwas höher gewesen sein, als er das im Rückblick im Durchschnitt sein wird.
Auch in den Nachbarländern steigen die Infektionszahlen wieder an. Wie ordnen Sie das ein?
Der Anstieg macht tatsächlich Sorgen. In der Schweiz hat der Bundesrat die Corona-Massnahmen sehr stark und rasch gelockert. Das verunmöglicht es, die einzelnen Lockerungen mit dem Anstieg in Verbindung zu bringen. Das heisst, wir fliegen wieder etwas blind, oder zumindest schwachsichtig durch die Gegend.
Der Bundesrat hat die Corona-Massnahmen sehr stark und rasch gelockert. Das verunmöglicht es, die einzelnen Lockerungen mit dem Anstieg in Verbindung zu bringen.
Wo stehen wir derzeit epidemiologisch im Vergleich zu letzter Woche, als mit den höheren Fallzahlen eine Art Alarmstimmung aufkam?
Wegen all der erwähnten Ungewissheiten kann man nicht von einer grossen Veränderung ausgehen. Richtig ist sicher die Einführung einer Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr – denn es steht viel zu viel auf dem Spiel. Wir dürfen nicht mehr in einen derart exponentiellen Anstieg der Fallzahlen geraten, wie wir im März waren.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.