Die Bundesanwaltschaft hat kürzlich einen Erfolg im Kampf gegen die Mafia vermeldet: Sie hat Anklage gegen einen 58-jährigen Italiener aus dem Kanton Aargau eingereicht, der in der Schweiz während fast 20 Jahren für die ’Ndrangheta gearbeitet haben soll. Er habe mit Waffen und Drogen gehandelt, Schutzgeld eingefordert und vieles mehr, lauten die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft. Über Jahre sei er in der Schweiz Ansprechpartner eines ‘Ndrangheta-Clans gewesen.
Wertvolle Informationen von Kronzeugen
So eine Person könne den Ermittlern wertvolle Informationen über die Mafia liefern. Davon ist Bundesanwalt Stefan Blättler überzeugt.
Er forderte wiederholt, dass ehemalige Mafia-Mitglieder mildere Strafen erhalten sollen, wenn diese als sogenannte Kronzeugen gegen ihre Komplizen aussagen: «Wir wissen vor allem aus Italien, dass dies die Innensicht von kriminellen Organisationen darstellen kann. Eine Innensicht, die wir sonst nicht erhalten und die für die erfolgreiche Führung eines Verfahrens notwendig ist.»
Zora Hauser, Mafia-Expertin und Soziologin aus der Schweiz, forscht an der Universität Cambridge. Sie sieht das genauso. Der Fall im Kanton Aargau zeige, wie wichtig eine solche Kronzeugen-Regelung in der Schweiz wäre, denn man stütze sich auch auf Aussagen von Kronzeugen aus Italien.
«Das heisst, dass wir in der Schweiz eine Kronzeugen-Regelung benutzen, die in Italien bereits existiert. Was wir brauchen, ist eine eigene Kronzeugen-Regelung, damit wir in der Schweiz alleine ermitteln können», so Hauser.
Verstoss gegen Verfassung
Dennoch: Das Parlament wie auch der Bundesrat waren bisher gegen eine solche Kronzeugen-Regelung. Auch für Nationalrat Mauro Tuena (SVP/ZH) ist dies eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe.
«Mit einer Kronzeugen-Regelung wäre es so, dass ein Mafioso mit einer milderen Strafe oder straffrei davonkäme, wenn er mit der Justiz kooperiert. Bei jedem anderen Schwerverbrecher wäre das nicht so. In unserer Verfassung ist aber verankert, dass jeder gleich behandelt werden muss», sagt Tuena, der eine Kronzeugen-Regelung deshalb ablehnt.
Parlament zeigt sich offener
Der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch ist ebenfalls skeptisch. Im vergangenen Herbst hatte er sich jedoch im Parlament erfolgreich dafür eingesetzt, dass sich der Bundesrat die Kronzeugen-Regelung genauer anschauen muss. Konkret muss der Bundesrat einen Bericht dazu verfassen und darin unter anderem die Vor- und Nachteile der Regelung aufzeigen.
Jositsch sagt dazu: «Wenn der Bundesanwalt aus der Praxis die Rückmeldung gibt, dass es schwierig ist, ohne Kronzeugen-Regelung in kriminelle Strukturen einzudringen, dann glaube ich, müssen wir das als Rechtskommission aufnehmen.»
Eine mildere Strafe für Mafia-Mitglieder, sofern diese gegen Komplizen aussagen. Das Parlament zeigt sich inzwischen offener dafür. Was jahrelang als chancenlos galt, könnte vielleicht noch Realität werden.