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Kampf gegen Rechtsextremismus «Nur Einzelpersonen zu beobachten, reicht nicht»

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer will den Kampf gegen den Rechtsextremismus deutlich verstärken – unter anderem mit mehr Personal: Es sollen 600 neue Stellen geschaffen werden. Und er will die Sicherheitsbehörden neu organisieren. Journalistin Constanze von Bullion sieht das als wichtiges Zeichen dafür, dass nun genauer hingeschaut wird.

Constanze von Bullion

Journalistin

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Constanze von Bullion berichtet bei der «Süddeutschen Zeitung» über das deutsche Bundesinnenministerium und den Rechtsextremismus.

SRF News: Mehr Stellen und eine Neuorganisation der Behörden – ist das der grosse Wurf im Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland?

Constanze von Bullion: Nein, ich glaube nicht. Aber es ist immerhin ein deutliches Signal, dass das Bundesinnenministerium den Kampf gegen Rechtsextremismus verstärken will. Das finde ich im Grundsatz richtig.

Wie muss man diese Zahl von 600 Stellen einordnen? Ist das viel?

Das ist gar nicht so leicht zu beurteilen. Grundsätzlich haben, seit Horst Seehofer Bundesinnenminister ist, alle Sicherheitsbehörden sehr viel Personal dazubekommen. Das betrifft auch die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz. Es ist das erste Mal überhaupt, dass der Verfassungsschutz öffentlich bekannt gibt, wie viele Stellen er dazu kriegt.

Wie viel 600 Stellen im Gesamtvolumen des Verfassungsschutzes ausmachen, kann man nicht sagen.

Er tat das bisher nicht, weil er nicht will, dass man sich ein Bild davon machen kann, wie gross und damit wie schlagkräftig er ist. Man hat nun auf Seehofers Drängen kommuniziert, dass man die Kräfte verstärkt. 600 Stellen sind zwar ordentlich viel. Aber wie viel es im Gesamtvolumen des Verfassungsschutzes ausmacht, kann man nicht sagen. Denn wir kennen die Zahlen nicht.

Ist schon klar, was diese neuen Beamtinnen und Beamten tun sollen?

Zum einen stellen die Behörden fest, dass sich die herkömmliche rechtsextremistische Szene – Altparteien wie die NPD oder Kameradschaften aus dem rechtsextremistischen Bereich – mehr mit der Neuen Rechten vernetzt. Zum Beispiel mit Organisationen wie der Identitären Bewegung oder der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD.

Sie haben ein eigenes Referat aufgebaut, das rechte Tendenzen im öffentlichen Dienst ins Visier nimmt.

Die Behörden verstärken also ihre Kräfte, um diese Szene auch im Netz besser analysieren zu können. Zum anderen haben sie ein eigenes Referat (bestimmtes Fachgebiet in einer Behörde, Anm. d. Red.) aufgebaut, das rechte Tendenzen im öffentlichen Dienst ins Visier nimmt. Das gab es vorher nicht.

Der Begriff Rechtsextremismus wird also breiter definiert?

Ja. Man kommt von dem alten Bild, dass man nur Einzelpersonen oder einzelne Parteien beobachtet immer weiter weg, analog zur Beobachtung des Islamismus. Auch da hat man gemerkt, dass es nicht reicht, wenn man nur einzelne mutmassliche Übeltäter, die man schon kennt, ins Auge fasst.

Es reicht nicht, wenn man nur einzelne mutmassliche Übeltäter, die man schon kennt, ins Auge fasst.

Heute wurde bekannt, dass über die Hälfte der rechtsextremistischen Straftaten in Deutschland von Leuten verübt wurden, die der Polizei komplett unbekannt waren. Das ist beunruhigend, denn das sind Leute, die offenbar lange Zeit völlig ungestört agieren konnten und der Polizei nicht weiter aufgefallen sind. Also auch in der Früherkennung will man jetzt nachlegen.

Seehofer will auch bei Polizei und Armee genau hinschauen. Ist das nötig?

Nötig ist es unbedingt. Wir hatten doch einige beunruhigende Fälle. Da wurden zum Teil Daten aus Verfahren durchgesteckt, da wurde eine Anwältin bedroht, die Migranten vertrat. Da gab es Fälle, bei denen Munition von der Polizei in rechte Netzwerke abgezweigt wurde. Es ist schon richtig, dass man auch nach innen das Signal gibt: «Leute, jetzt schauen wir genauer hin!»

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

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