Düsseldorf ist wichtig, weil die CDU in Nordrhein-Westfalen der grösste Landesverband der CDU in ganz Deutschland ist. Er stellt 296 der 1001 Delegierten, die nächste Woche am CDU-Parteitag in Hamburg die Nachfolge von Angela Merkel bestimmen.
Allein der Bezirk Münsterland, aus dem einer der Kandidaten, der 38-jährige Gesundheitsminister Jens Spahn stammt, stellt mehr Delegierte für den Parteitag als das gesamte Saarland, der Landesverband der Favoritin und CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer.
Gleich viele Delegierte wie Kramp-Karrenbauer hat auch der frühere CDU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz aus dem Sauerland aus seinem Bezirk in Nordrhein-Westfalen hinter sich. Knapp 4000 CDU-Mitglieder strömten am Dienstag in die Messehalle 9 in Düsseldorf, zehnmal so viele wie vor Wochenfrist an der Regionalkonferenz in Halle.
Die politischen Waffen einer Frau
Für Merz und Spahn war der Abend ein Heimspiel. Alle Interessierten setzten entweder den einen oder anderen an die Spitze ihrer Favoritenliste.
Aber umgekehrt war AKK, wie die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer gerne genannt wird, nicht konstant auf dem dritten Platz in der Publikumsgunst. Und sie bleibt Favoritin für Merkels Nachfolge an der Parteispitze.
Merz konnte zwar auch in Baden-Württemberg punkten, aber in den landesweiten Umfragen und dem Urteil der meisten Experten bleibt Kramp-Karrenbauer die Kandidatin mit den meisten Chancen.
Eine pikante These sei gewagt: Die Deutschen haben sich nach 13 Jahren Merkel an den politischen Führungsstil von Frauen gewöhnt. Und er passt zur Stimmungslage vieler Wählerinnen und Wähler. Es muss sich etwas ändern, sagen viele Deutsche, aber bitte nicht zu viel und zu heftig.
Alles soll sich verändern, aber alles soll auch so bleiben wie es ist.
Oder wie es der Kolumnist der «Bild»-Zeitung Franz Josef Wagner, der sich und seine Zeitung als Seismograf der Deutschen betrachtet, unlängst schrieb: «Alles soll sich verändern, aber alles soll auch so bleiben wie es ist.»
Merkel und Kramp-Karrenbauer stehen für einen solchen Politikstil. Sie agieren überlegt, ohne plötzliche und heftige politischen Ausschläge. Merz kann rhetorisch scharf und schneidend werden, Spahn liebt die Provokation.
Und beide stehen für einen klaren Wandel. Kramp-Karrenbauer steht zwar nicht für Stillstand, aber sie verpackt den Veränderungen mehr in ein «Wir-Gefühl» als ihre Konkurrenten.
Merz hat dies verstanden. Und deshalb betonte er, dass er im Falle seiner Wahl als Parteivorsitzender nicht gleich auch das Kanzleramt anstrebe. Er werde bis zum Ende der Legislatur gut mit Merkel zusammenarbeiten.
Zunächst hatte die Vermutung die Runde gemacht, dass ein Duo Merz und Merkel nicht funktionieren und Merz im Falle eines Sieges auch rasch nach dem Kanzleramt greifen würde. Inhaltlich aber blieb er sich treu.
«Was tun wir, wenn die Party zu Ende ist?», fragte er. Gemeint war, wenn der Wirtschaftsboom endet, die Kassen leerer, das Klima kälter, unangenehme Entscheidungen notwendig werden, dann stehe der schneidige Retter und Ritter Merz bereit.
Spahn, der konservative Minister für Gesundheit, fragte: «Welches Deutschland wollen wir 2040?» Er stellte sich als Vertreter einer jungen, aufbruchorientierten Generation dar und spottete, wenn ihn viele als der Partei mit seinen 38 Jahren als «blutjung» bezeichneten, dann habe die CDU ein Altersproblem.
Gemeint ist, dass die CDU dann etwas blutleer sei. Er verbreitete amerikanischen Optimismus und propagierte ein europäisches «Stanford», eine Elite-Universität für künstliche Intelligenz nach US-Vorbild.
Kramp-Karrenbauer propagierte ein Sowohl-Als-Auch. Auch sie sieht Reformbedarf. Sie ist gesellschaftspolitisch mehr rechts als Merkel, sozialpolitisch aber linker als Spahn und Merz.
Sorge vor ungewisser Zukunft
Der Abend in Düsseldorf hat gezeigt: Viele hoffen im Westen und Süden Deutschlands auf Merz, aber Kramp-Karrenbauer bleibt deutschlandweit die Favoritin. Mit der Kandidatur von Merz ist Spahn chancenlos geworden, er übt sich in diesem Wahlkampf für eine fernere Zukunft. Und so äusserte er sich in Düsseldorf überraschend moderat.
Es fällt auf, dass nach 13 erfolgreichen Jahren unter der Kanzlerin und 18 Jahren unter der CDU-Parteivorsitzenden Merkel viele CDU-Mitglieder den Drang nach Erneuerung, Wandel spüren. Vieles sei liegengeblieben, klagen sie.
Es klingt nach Krise. Doch die Wirtschaftszahlen sprechen (noch) eine andere Sprache, allerdings bilden Statistiken und Zahlen nur die Vergangenheit und bestenfalls die Gegenwart ab. Sie sagen nichts über die Erwartungen oder Befürchtungen der CDU-Mitglieder über die Zukunft aus.