«Ich wurde nicht als Kanzlerin geboren», sagte Angela Merkel gestern, einen Tag nach der desaströsen Landtagswahl in Hessen vor den Medien. Bereits Anfang Dezember will sie den CDU-Parteivorsitz abgeben, im Jahr 2021 dann auch die Kanzlerschaft. Danach will sich Merkel ins Privatleben zurückziehen.
Zahlreiche Medien und Beobachter bezeichnen Merkels selbstgewählten Rückzug aus der Politik als «würdevoll». Doch ist ein solcher Abschied auf Raten tatsächlich eine kluge Strategie? «Es ist jedenfalls eine völlig veränderte Strategie», sagt Stephan-Andreas Casdorff, Chefredaktor des «Berliner Tagesspiegels». Und: Das habe es in Deutschland so noch nie gegeben.
«Kanzlerschaft und Parteivorsitz gehörten bisher immer in eine Hand, um wirkungsvoll zu regieren.» Diese Sicht habe Merkel unter dem Eindruck der schweren Verluste in Hessen und Bayern nun überraschend aufgegeben. «Offensichtlich war der Druck in der eigenen Partei zu gross geworden.»
Nachfolgern wird auf den Zahn gefühlt
Doch reicht diese Ankündigung aus, um Merkels innerparteiliche Gegner zu besänftigen? «Zumindest richtet sich jetzt alle Aufmerksamkeit auf das Neue», so Casdorff. «Das Vergangene ist schon fast vergangen, Merkel schon fast CDU-Geschichte.» Das Neue, das sind die Kandidaten für den Parteivorsitz.
Diese werden nun durchleuchtet. Wenn alle ihre Programme vorgelegt haben, wie sie die Wählerschaft wieder zur CDU ziehen wollen, dann werde man klarer sehen. Es könnte aber auch sein, dass der aus Merkels Sicht «falsche Kandidat» zum Zug kommt, gibt Casdorff zu bedenken. Zum Beispiel Friedrich Merz. Er hatte 2002 seinen Posten als Chef der Unionsfraktion an Merkel verloren.
«Merkel und Merz sollten einmal ein Traumduo sein und sind zum Albtraum geworden – jedenfalls füreinander», erinnert sich der «Tagesspiegel»-Chef. «Wenn der gewählt würde, der mit Merkel gar nicht kann, der sich von ihr hinters Licht geführt fühlte, der bis heute gekränkt ist, dann würde das nicht gut gehen.»
Auch wenn der aktuelle Gesundheitsminister Jens Spahn den Parteivorsitz übernehmen sollte, wäre ihre Zeit als Kanzlerin überschaubar, glaubt Casdorff. «Sie würde gewiss nicht über das Jahr 2019 hinausreichen, sondern eher früher enden.» Mit ihrer Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer könnte Merkels Plan, sich auf Raten zurückzuziehen, dagegen aufgehen.
Beliebtheitswerte immer noch hoch
Merkels Problem ist also der Rückhalt in ihrer Partei. «Wenn die CDU von Friedrich Merz geführt würde, der mit Argusaugen auf alles schauen wird, was sie tut, dann wird es sicherlich schwierig für sie», sagt Casdorff.
Aber man dürfe nicht vergessen: «In der Bevölkerung ist Merkel immer noch die beliebteste Politikerin, jedenfalls was die Führung der Republik angeht.» Sie habe immerhin noch 43 Prozent Zustimmung. «Und das, obwohl sie doch eigentlich als schwach gilt. Das heisst, ihre Moderationsfähigkeit und die Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Volk wird sie beibehalten.»
Wer übernimmt Merkels Nachfolge in der CDU?
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Bild 1 von 6. Der 56-jährigen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer geben viele in der Partei die besten Chancen, Merkel zumindest als Parteichefin zu beerben. Die frühere saarländische Ministerpräsidentin gilt auch als Favoritin Merkels. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 6. Einen Tag nach dem Verzicht Merkels auf den Parteivorsitz hat Friedrich Merz seine Kandidatur offiziell angemeldet. Er wurde 2002 von Merkel von der Spitze der CDU/CSU-Fraktion verdrängt und hatte darauf eine Debatte über eine deutsche Leitkultur angeschoben. Der 62-jährige Merz gilt als Finanzexperte und Wertekonservativer. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 6. Der 38-jährige Jens Spahn hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder als konservativer Kritiker Merkels profiliert. In der Partei wird dem ehrgeizigen Gesundheitsminister aus dem westfälischen Ahaus angekreidet, dass er mit Äusserungen wie etwa in der Flüchtlingspolitik zu stark polarisiert habe. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 6. Als Vorsitzender des stärksten CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen könnte Armin Laschet schon qua Amt einen Anspruch auf den Vorsitz der Bundespartei anmelden. Der 57-jährige Aachener gilt bisher als loyaler Stellvertreter Merkels in der Bundes-CDU. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 6. Für den früheren Bundesinnen- und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wäre es die Krönung seiner politischen Laufbahn, könnte er Merkel als Bundeskanzler ablösen – wenn auch wohl nur als Übergangslösung. Der 76-Jährige wurde nach der Bundestagswahl 1998 Parteichef, musste aber im Zuge der CDU-Spendenaffäre im Jahr 2000 seine Ämter niederlegen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 6. Der 45-jährige Daniel Günther, Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein, gilt vor allem für jene CDU-Anhänger als Hoffnungsträger, die sich eher in der politischen Mitte oder sogar eher links einordnen. Dieser Umstand dürfte es ihm jedoch schwer machen, von einer breiten Mehrheit zum Bundesvorsitzenden der CDU gewählt zu werden. Bildquelle: Keystone.