Schon wieder. Die Kanzlerin zittert in aller Öffentlichkeit, während dutzende Kameras auf sie gerichtet sind. Das Ganze habe eine psychische Ursache, heisst es, und die Erklärung ist nachvollziehbar. Ist ihr das Bemühen um Selbstbeherrschung in jenem Moment der absoluten öffentlichen Aufmerksamkeit doch deutlich anzusehen.
Während des Zitteranfalls spricht sie leise vor sich hin, als würde sie sich selbst beruhigen wollen.
Medien halten sich zurück
Auch dieses Mal halten sich Medien und Politiker in Deutschland zurück. Die magere Erklärung, der Kanzlerin gehe es gut, muss reichen. Die Gesundheit von Politikern – das ist in Deutschland Privatsache, besonders wenn es um diese nicht allzu gut bestellt ist. Und selbst dann, wenn es um die Kanzlerin geht.
Zwar scheint sich ein langsamer Kulturwandel zu vollziehen. Die äusserst prominente Fraktionschefin der Linken beispielsweise, Sahra Wagenknecht, machte öffentlich, dass sie an einem Burnout litt und zeigte so einen neuen Umgang mit vermeintlicher Schwäche.
Merkel: Es gibt nichts zu sehen
Doch Merkel ist da alte Schule. Persönlich angesprochen auf ihren Gesundheitszustand, sagte sie lapidar, sie habe «nichts zu berichten». Die Öffentlichkeit ist bereit, es ihr zu glauben. Hat Angela Merkel doch gerade in den letzten Wochen wieder bewiesen, dass sie ihre Aufgabe in Europa und auf der Weltbühne erfüllt.
Doch nach dem dritten Zitteranfall scheint die Frage nach Merkels Umgang mit der eigenen Verwundbarkeit durchaus opportun, selbst unter Berücksichtigung allen Anstands und kulturell gebotener Zurückhaltung.
Angela Merkel ist die mächtigste Frau der Welt. Mit unbarmherziger Ausdauer und protestantischem Arbeitsethos steuert sie die Geschicke Deutschlands und Europas seit 14 Jahren. Sie ist die Marathonläuferin unter den Weltpolitikern und ein Symbol für Stabilität in einer zunehmend polarisierten Welt.
Aussitzen hat sich bewährt
Schwächelt Merkel, ist das beunruhigend. Und tut sie es unter aller Augen, lässt das die Betrachterin nicht unberührt. Doch die Kanzlerin hält es mit der eigenen Gesundheit wie mit den vielen politischen Krisen in ihrer Karriere: Sie lässt den Sturm vorbeiziehen.
Die Frage nach ihrem Zustand mag berechtigt sein, eine echte Antwort bleibt sie uns allerdings schuldig. Zwingen liess sich Angela Merkel noch nie.