Er war das Gesicht der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung: Carles Puigdemont. Seit vier Jahren ist er auf der Flucht vor der spanischen Justiz. Zuletzt lebte er in Belgien. Am Donnerstag ist Puigdemont auf Sardinien festgenommen worden. Nun entscheidet die italienische Justiz, ob er nach Spanien ausgeliefert wird. Die Journalistin Julia Macher erklärt, wie sich die Festnahme auf das ohnehin belastete Verhältnis zwischen Barcelona und Madrid auswirkt.
SRF News: Was ist bisher zur Verhaftung von Carles Puigdemont bekannt?
Julia Macher: Puigdemont wollte wohl auf Sardinien mit Parteikollegen und italienischen Kommunalpolitikern an einem Folklore-Treffen teilnehmen. Auf Sardinien wird ja auch katalanisch gesprochen. Er wurde noch am Flughafen von Polizisten in Zivil verhaftet. Die Grundlage für die Festnahme ist ein europäischer Haftbefehl von 2019. Er ist zwar gewählter EU-Abgeordneter, aber seine Immunität wurde aufgehoben. Seine Anwälte bestreiten nun die Gültigkeit des Haftbefehls. Der Fall wird erneut zur juristischen Knacknuss.
Wie fallen die ersten Reaktionen in Spanien aus?
Die Zentralregierung in Madrid hat nur ein knappes Communiqué verschickt. Darin steht, dass sich Puigdemont wie jeder andere Bürger der Justiz unterwerfen müsse. Die konservativen Oppositionsparteien haben sich etwas ausführlicher geäussert. Die Reaktionen reichen von «das ist eine gute Nachricht für die Demokratie» bis zum Wunsch, dass Puigdemont wegen des «Putsches gegen den Verfassungsrahmen» bestraft werden soll.
Die Auslieferung ist für die Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Linken eine heisse Kartoffel.
In Katalonien fallen die Reaktionen natürlich anders aus. Puigdemonts Amtsnachfolger, der katalanische Regionalpräsident Pere Aragonès, hat Puigdemont versichert, an seiner Seite zu stehen. Einige separatistische Politiker reisen heute auch nach Italien. Und die katalanische Unabhängigkeitsbewegung hat zu Protesten vor der italienischen Botschaft aufgerufen.
Nun müssen die italienischen Behörden entscheiden, ob Puigdemont nach Spanien ausgeliefert wird. Welches Interesse hat die Zentralregierung in Madrid an der Auslieferung Puigdemonts?
Das ist eine schwierige Frage. Einerseits möchte die Zentralregierung das Kapitel endlich abschliessen. Andererseits ist die Auslieferung für die Koalition aus Sozialdemokraten und Linken eine heisse Kartoffel, um die man lieber herumgekommen wäre. Die spanische Justiz hat ja die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung 2019 zu Gefängnisstrafen bis zu 13 Jahren verurteilt.
Puigdemonts Einfluss auf die katalanische Politik und die Unabhängigkeitsbewegung ist lange nicht mehr so gross wie früher.
Der jetzige Premier, Pedro Sánchez, hat diese Politiker nun im Sommer begnadigt. Auch, um den Dialog mit der katalanischen Regionalregierung zu erleichtern. Sollte Puigdemont nun ausgeliefert werden und in Spanien ein Verfahren gegen ihn angestrengt werden, wären die Fronten erneut verhärtet. Diese Zwickmühle erklärt wohl auch, warum das Communiqué von Premier Sánchez eher nüchtern ausgefallen ist.
Was bedeutet die Verhaftung für die Beziehung zwischen den Separatisten in Katalonien und der Zentralregierung in Madrid?
Zunächst einmal, dass die Temperatur zwischen Barcelona und Madrid sinkt. Zuletzt hatten auf beiden Seiten gemässigte Stimmen Oberwasser. Trotz aller Differenzen bemühte man sich um minimalen Konsens. In Katalonien könnten jetzt die Hardliner wieder Oberwasser gewinnen. Ein gewisses Erregungspotenzial besitzt die Figur Puigdemont noch. Aber sein Einfluss auf die katalanische Politik und die Unabhängigkeitsbewegung ist lange nicht mehr so gross wie früher.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.