Der erste Anruf bei der Polizei-Hotline des US-Bundesstaates Louisiana klang unaufgeregt. Man wolle nur informieren, dass nach einem Vorfall auf einer Bohrplattform 48 Meilen vor der Küste etwas Öl im Meer entdeckt worden sei, sagte der Mitarbeiter von BP.
«Erwarten Sie, dass dies die Küste von Louisiana beeinträchtigen wird?» wollte der Polizist wissen. «Nein, zurzeit erwarten wir keine Auswirkungen auf die Küste». Tatsächlich hatte gerade die grösste Ölkatastrophe der Geschichte ihren Lauf genommen.
Die Chronologie der Katastrophe
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Bild 1 von 12. 20. April 2010: Auf der Ölplattform «Deepwater Horizon» im Golf von Mexiko, rund 80 km vor Louisiana, schiesst unkontrolliert Bohrschlamm in die Höhe, gerät in Brand und löst eine Explosion aus. Elf Arbeiter kommen ums Leben. 115 weitere werden gerettet, einige schwer verletzt. Bildquelle: Reuters .
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Bild 2 von 12. 22. April 2010: Nachdem mit Löschbooten vergeblich versucht wurde, den Brand unter Kontrolle zu bringen, versinkt die Plattform. Dabei wird ein Steigrohr abgeknickt, Öl beginnt ins Meer zu strömen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 12. April bis Juli 2010: Geschätzt 800 Millionen Liter Rohöl fliessen ins Meer, genau kann die Menge nicht bezeichnet werden. Obwohl nur ein Teil an der Meeresoberfläche sichtbar ist, erstreckt sich die Ölpest bald auf tausende Quadratkilometer. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 12. 29. April 2010: Das Öl erreicht die Küste des US-Bundesstaates Louisiana. In den darauffolgenden Wochen werden mehr als 1000 Kilometer Küste verseucht, gemäss neueren Forschungen sogar der Abschnitt von Texas bis zu den Florida Keys. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 12. Seit April 2010: Die Ölpest richtet enorme Schäden an Flora und Fauna an. Hunderttausende Fische und Wasservögel, mindestens 60'000 Schildkröten, tausende Meeressäuger sterben. 8000 Tierarten sind betroffen. Noch Jahre später kommt es zu Missbildungen bei Meerestieren. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 12. Mai 2010: Verzweifelt wird versucht, die Ausbreitung des Ölteppichs zu verhindern. Crevettenfischer legen mit ihren Kuttern in der Meerenge von Chandeleur Ölsperren und sammeln die zähflüssige Masse ein. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 12. Sommer 2010: Tausende Helfer reinigen die verseuchen Küstenabschnitte (hier in Gulf Shores, Alabama). Viele von ihnen sind Fischer, die ihren Job verloren haben. Gemäss dem US-Institut für Umweltmedizin klagen zahlreiche Helfer noch Jahre später über gesundheitliche Folgen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 12. 16. Juli 2010: Nach 87 Tagen und vier gescheiterten Versuchen gelingt es, das Leck in 1500 Metern Tiefe mittels einer Stahlglocke zu schliessen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 12. Juni 2010: Die Katastrophe kostet mehrere zehntausend Arbeitsplätze in der Fischerei, Landwirtschaft und Tourismus. Mit diesem Schild protestiert ein Betroffener gegen seine Arbeitslosigkeit. Auch die Ölbranche selbst ist durch ein mehrmonatiges Moratorium für Tiefseebohrungen betroffen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 10 von 12. Juni 2010 bis Juli 2015: Im Rahmen der politischen und juristischen Aufarbeitung der Katastrophe (hier eine Anhörung von BP-Chef Tony Hayward vor dem US-Kongress) müssen BP, die Schweizer Firma Transocean und weitere Unternehmen dutzende Milliarden Dollar Busse und Entschädigung bezahlen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 11 von 12. 2016: Das Deepwater-Horizon-Unglück wird auch verfilmt. Unter der Regie von Peter Berg spielt Mark Wahlberg (Bild) die Hauptrolle als Chefelektriker Mike Williams. Premiere ist im September 2016 in Toronto. Der Film wird für zwei Oscars nominiert, geht aber leer aus. Bildquelle: Reuters.
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Bild 12 von 12. 2020: Die sichtbaren Schäden an den Stränden und der Meeresoberfläche sind im Golf von Mexiko verschwunden. In der Tiefsee hat sich gemäss Forschern aber langfristig Öl abgelagert, das Korallenwachstum ist nachhaltig beeinträchtigt, mehrere Tierarten sind verschwunden. Bildquelle: Keystone.
Rund 1500 Meter unter der Wasseroberfläche hatte es einen «Blowout» gegeben: Unkontrolliert schoss Gas durch die Rohre nach oben und brachte die Bohrinsel «Deepwater Horizon» zur Explosion.
In den Eiern von Meeresschildkröten finden Wissenschaftler nach wie vor Spuren von Öl.
Elf Mitarbeiter starben, viele andere konnten sich über Rettungsbote oder den Sprung ins Wasser retten. Die «Deepwater Horizon» sank. Aus mehreren Lecks am Meeresgrund traten in der Folge fast drei Monate lang Unmengen von Rohöl aus.
Versagen von BP und Co.
Hunderttausende Meerestiere und Vögel verendeten im dickflüssigen Öl oder wurden durch die Chemikalien vergiftet, die zur Bekämpfung der Katastrophe eingesetzt wurden.
Bis heute, zehn Jahre nach dem Unglück, leide die Natur unter den Folgen, sagt Sigrid Lüber von der Schweizer Meeresschutz-Organisation OceanCare: «Bei den Delfinen gibt es nach wie vor eine hohe Sterblichkeitsrate der Jungtiere. Und in den Eiern von Meeresschildkröten finden Wissenschaftler nach wie vor Spuren von Öl».
Schlamperei sowie Zeit- und Kostendruck führten damals laut Untersuchungen zum Unglück. Die Aufsicht durch die Behörden war lasch. In der Folge wurden unter Präsident Barack Obama die Auflagen für die Branche verschärft.
Trump verwässert Sicherheitsregeln
Von «dramatischen Verbesserungen» bei den Bohrungen spricht Erik Milito, Präsident des Branchenverbandes der amerikanischen Offshore-Industrie NOIA: «Die Standards bei den Rohren und beim Zement wurden massiv verbessert. Wir haben jetzt gewissermassen mehrere Mauern zwischen der Bohr-Aktivität und der Umwelt».
Laut Milito wurden zudem Milliarden in ein Sicherheits-System investiert, das die Quelle rasch umschliessen könnte, sollte doch wieder etwas passieren.
Auch Bob Deans von der Umwelt-Organisation «Natural Resources Defense Council» betont, seit dem Unglück habe sich einiges verbessert. Doch in den letzten Jahren seien die Auflagen wieder verwässert worden.
«Leider hat die Trump-Administration die Vorschriften zur Kontrolle der Öl-Quellen abgeschwächt», sagt Deans.
«Das kommt zum völlig falschen Zeitpunkt. Denn die Industrie peilt gerade immer tiefere Gewässer an. Sie will bei Quellen mit höherem Druck und in schwierigen geologischen Strukturen bohren». Es brauche also strengere Auflagen, nicht eine Abschwächung, erklärt Deans.
In den Aufsichtsbehörden fehlt es an jener Führung, die nötig wäre, um die Sicherheit zu gewährleisten
Zudem hat Präsident Donald Trump linientreue Öl-Lobbyisten mit der Aufsicht über die Bohrplattformen betreut. Der heutige Leiter der Aufsichtsbehörde BSEE führte im Juli 2010 noch eine Demonstration gegen ein Bohr-Moratorium an. Und sein Vorgesetzter David Bernhardt, Chef des Innenministeriums, war zuvor ein einflussreicher Lobbyist der Öl- und Gasindustrie.
«In den Aufsichtsbehörden fehlt es zurzeit an jener Führung, die nötig wäre, um die Sicherheit der Industrie zu gewährleisten, sagt Bob Deans.
Risikoreiche Gratwanderung
Branchenvertreter Milito hingegen begrüsst die Schritte der Trump-Regierung: «Die Unternehmen erhalten mehr Flexibilität, um dank Innovation die besten Wege zu finden, um die Sicherheit zu verbessern».
Für Sigrid Lüber von OceanCare stellen die Bohrplattformen nach wie vor ein zu grosses Risiko dar. Die Öl-Industrie müsse sich aus sensiblen Meeresgegenden fernhalten. Und: «Wir verlangen eine verbindliche Strategie für die Abkehr von fossilen Brennstoffen, so wie es auch das Pariser Klima-Abkommen verlangt.»