Darum geht es: Das Thema sexueller Missbrauch durch kirchliche Würdenträger in Polen wurde lange totgeschwiegen. Dass die Öffentlichkeit nun darüber spricht, hängt mit zwei Faktoren zusammen. Ein Film zum Thema heizt die Debatte an und ein Gerichtsurteil zeigt, wie aktuell das Thema ist.
Das hat das Berufungsgericht entschieden: Der polnische Orden Gesellschaft Christi für Emigrantenseelsorge wurde auch von der zweiten gerichtlichen Instanz zu einer Zahlung von umgerechnet 233’000 Euro an ein Opfer eines pädophilen Priesters verurteilt. Die betroffene junge Frau erhält zudem zeit ihres Lebens eine Rente von 190 Euro monatlich von dem Orden. Ein Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil vor kurzem. Damit ist es rechtskräftig.
Darum hat es so entschieden: In erster Instanz hatte das Gericht entschieden, dass der Orden seine Verantwortung als Arbeitgeber wahrnehmen müsse. Es sei ein Unterschied, ob ein Priester privat Verbrechen begehe oder ob er dies in seiner Funktion als Priester der katholischen Kirche und in den Räumen der katholischen Kirche tue, hatte die Richterin argumentiert. Sie habe damit klar dargelegt, dass der Orden in diesem Fall seine Verantwortung als Arbeitgeber wahrnehmen müsse, sagt Florian Hassel, der als Journalist der «Süddeutschen Zeitung» in Warschau lebt.
Dieses erste Urteil focht die Gesellschaft an; sie können nicht für das Fehlverhalten eines Mitglieds zur Rechenschaft gezogen werden.
Dafür wird der Orden kritisiert : Als Arbeitgeber des Priesters habe der Orden bei der Auswahl des Personals nicht darauf geachtet, ob Leute gefährdet sein könnten. Denn es sei bekannt gewesen, dass der später verurteilte Priester Fantasien von pädophilem Missbrauch gehabt habe, so die Argumentation der Richterin. Nachdem der Priester verhaftet und verurteilt worden war und seine Strafe abgesessen hatte, wurde er vom Orden nicht ausgeschlossen. Er wurde in ein Heim aufgenommen und durfte weiter Messen lesen. Er kam auch weiterhin mit Jugendlichen in Kontakt.
So gross ist die Dunkelziffer: Wie Hassel sagt, hat Papst Franziskus 2014 eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass zwei Prozent aller Priester pädophil seien. Einer australischen Studie zufolge seien es sogar sieben Prozent. Hassel rechnet vor: «In Polen muss man von hunderten, wenn nicht von tausenden pädophilen Priestern ausgehen.»
Das ist geplant: Eine Opferorganisation und eine Parlamentarierin wollen in den nächsten Tagen eine Opferkarte vorstellen. Darauf sollen die Orte von nachgewiesenen oder glaubwürdig dargestellten Fällen von Pädophilie verzeichnet sein. Laut der Organisation würden hunderte von Orten eingetragen, sagt Hassel.
So geht es weiter: «Was wir sehen, sind die Vorbeben eines Erdbebens», sagt Hassel. Polen stehe erst am Anfang der Aufarbeitung von sexuellen Übergriffen von Würdenträgern der katholischen Kirche.