- Hongkongs Regierung hat den Entwurf für das umstrittene Gesetz für Auslieferungen nach China komplett zurückgezogen.
- Das teilte Regierungschefin Carrie Lam nach einem Treffen mit Abgeordneten mit.
- Mit dem formellen Rückzug erfüllt die Regierungschefin eine Hauptforderung der Demonstranten.
Der bereits auf Eis gelegte Gesetzesentwurf war der Auslöser der Demonstrationen in der chinesischen Sonderverwaltungsregion.
Mit dem Rückzug demonstriert Lam erstmals konkret Entgegenkommen. Das Gesetz hätte Auslieferungen von verdächtigten Personen nach China erlaubt, obwohl dessen Justizsystem nicht unabhängig ist und häufig als Werkzeug politischer Verfolgung benutzt wird.
Nach den ersten Protesten hatte die Regierungschefin den Entwurf zunächst ausgesetzt und später für «gestorben» erklärt, ohne ihn aber komplett zurückzunehmen.
Fünf Forderungen der Demonstranten
In ersten Reaktionen äusserten Aktivisten ihre Erleichterung, machten aber deutlich, dass ihnen der Rückzug nicht ausreicht. Die weiteren vier Forderungen der Demonstranten sind der Rücktritt der Regierungschefin, eine unabhängige Untersuchung übermässiger Polizeigewalt, die Freilassung von Festgenommenen und eine Rücknahme des Vorwurfs des «Aufruhrs». Viele Demonstranten fordern darüber hinaus politische Reformen und wirklich freie Wahlen.
«Wenn sie die Sprechchöre der Leute in den Märschen hören, dann sind es die fünf Forderungen und nichts weniger», sagte Bonnie Leung von der Civil Human Rights Front, die grosse Demonstrationen organisiert hatte.
Vielen dürfte der Rückzug des Gesetzes nicht weit genug gehen, wenn es nicht eine Untersuchung der Polizeigewalt gebe. «Ohne eine unabhängige Untersuchung kann unsere Gesellschaft einfach nicht voranschreiten, weil wir jetzt sehen, dass die Polizei jeden Tag wahllos Leute verprügelt», sagte Leung.
Hoffen auf Merkels Hilfe
Hongkongs Protestführer baten die deutsche Kanzlerin Angela Merkel kurz vor ihrer China-Reise diese Woche um ein Treffen. In einem offenen Brief an Merkel, der der «Bild»-Zeitung vorliegt, warnt der bekannte Aktivist Joshua Wong vor einer Eskalation.
«Uns steht eine diktatorische Macht gegenüber, die keine freiheitlichen Grundrechte zulässt und immer mehr gewalttätige Massnahmen anwendet, mit Tendenz zu einem neuen Massaker wie am Tian'anmen-Platz.» 1989 schlugen Soldaten am Platz des Himmlischen Friedens in Peking die friedliche Demokratiebewegung blutig nieder.
Proteste an 13 Wochenenden
Die andauernden Proteste haben Hongkong in seine bislang schwerste Krise gestürzt. Zuletzt wurde 13 Wochenenden in Folge demonstriert – zum Teil mit Hunderttausenden bis zu mehr als einer Million Teilnehmern.
Die Proteste endeten häufig in Zusammenstössen zwischen radikalen Demonstranten und der Polizei. Die sieben Millionen Hongkonger befürchten steigenden Einfluss der chinesischen Regierung auf Hongkong und eine Beschneidung ihrer Freiheitsrechte.
Über 1000 Festnahmen
Nach den schweren Ausschreitungen am Wochenende in Hongkong kam es in der Nacht zum Mittwoch zu neuen Zwischenfällen. Die Polizei räumte gegen Mitternacht eine Gruppe von Demonstranten von einem Platz vor der Polizeistation im Stadtviertel Mong Kok, wie der Sender RTHK berichtete.
In der U-Bahn-Station Prince Edward gab es eine Festnahme. Bei beiden Polizeieinsätzen wurde Pfefferspray eingesetzt. Bei den Protesten und Ausschreitungen sind insgesamt bereits mehr als 1100 Menschen festgenommen worden.