Vor genau sechs Jahren hätte der neue Berliner Flughafen BER eröffnet werden sollen. Sechs Jahre und viele süffige Skandalgeschichten später schwört der neue Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, dass jetzt alles so organisiert sei, dass BER im Oktober 2020 fertig werde. «Wir können jetzt versprechen: Dann eröffnen wir.»
39 von 40 Gebäuden sind betriebsbereit. Und auch das letzte Gebäude, das Hauptterminal, sieht fast fertig aus. Wenn alles wie jetzt geplant klappt, wird der Flughafen am Ende 5,3 Milliarden Euro kosten. Das ist doppelt so viel wie ursprünglich geplant.
Wir zeigen, dass Deutschland auch komplexe Gebäude realisieren kann.
Für Lütke Daldrup ist der neue Berliner Flughafen denn auch «kein Ruhmesblatt». Alle Beteiligten hätten jetzt aber die gemeinsame Aufgabe, den Flughafen fertigzustellen. «Damit zeigen wir, dass Deutschland auch komplexe Gebäude realisieren kann.»
Suche nach den falschen Dübeln
Viele kleine Dinge sind in den bislang zwölf Baujahren an BER schiefgelaufen. So wurden bei Kabeltragsystemen etwa anstelle der vorgeschriebenen Metalldübel in einigen Fällen Plastikdübel verwendet. Und die mussten unter den Millionen verbauten Dübeln aufgespürt werden.
Aber es sind vor allem grosse Dinge schiefgelaufen. Und der Überblick ist verlorengegangen. Der Architekt Meinhard von Gerkan hätte BER bauen sollen und wurde 2012 nach der geplatzten Eröffnung per Fax entlassen. In einem Buch beklagt er, dass der Bauherr 487 Änderungen verlangt habe, vor allem in der Endphase kurz vor der geplanten Eröffnung 2012. So etwas sei nicht machbar, sagt jeder Architekt. 150 seien das Maximum, sagen Experten.
Grössere Vekaufs- und Parkflächen
Nachträglich wurde zum Beispiel die Bruttogeschossfläche im Flughafen um 70 Prozent erhöht. «Flughäfen verdienen ihr Geld zu einem erheblichen Teil mit Handel und Gastronomie», sagt der jetzige Flughafenchef Lütke Daldrup. Hinzu kämen Parkplätze, «mit denen sie Geld verdienen, damit sie ihre vielfältigen Infrastruktur-Aufwendungen finanzieren können.»
Das Bauregel-Chaos konnte selbst von den intelligentesten Ingenieuren dieser Republik kaum noch gelöst werden.
Dazu kommt der Brandschutz im Hauptterminal. Er stellte sich 2012 als das grösste Problem heraus: Direkt unter dem Flughafen liegt der Bahnhof. Das Baurecht der Bahn und das ordentliche Baurecht in Brandenburg prallten buchstäblich aufeinander und schufen ein unglaubliches Baurechts-Regelchaos. Lütke Daldrup: «Es konnte selbst von den intelligentesten Ingenieuren dieser Republik kaum noch gelöst werden.»
Extrem kompliziertes Baurecht
Deutsches Baurecht ist besonders komplex: Für ein Einfamilienhaus gilt es rund 24’000 Vorschriften zu beachten. Ausserdem hat sich die Zahl der Bauregeln in den letzten 20 Jahren vervierfacht. Die Deutsche Bahn hat sogar ihren eigenen Beton. Im Laufe der 30 Jahre langen Planungs- und Bauzeit von BER gab es ständig neue Richtlinien und Sicherheitsvorschriften, und in der Zwischenzeit geschah der Anschlag von 9/11.
Deutschland droht den Anschluss zu verlieren
30 Jahre seien eine viel zu lange Zeit um einen Flughafen zu bauen, betont Lütke Daldrup. Deutschland drohe den internationalen Anschluss zu verlieren. Denn der Flughafen BER ist kein Einzelfall.
Die einzigartige Elbphilharmonie in Hamburg wurde zehnmal teurer als geplant. Der Bahnhof Stuttgart 21 verzögert und verteuert sich massiv. Der Schutz des vier Zentimeter grossen Juchtenkäfers hatte einen Baustopp zur Folge.
Selbst der Bau des Flughafens München – wohlverstanden im Musterstaat Bayern – dauerte gleich lang, wie es bei BER am Ende dauern wird: 30 Jahre, wie Hans Joachim Paap weiss. Er ist assoziierter Partner im Architekturbüro gmp von Meinhard von Gerkan, das ursprünglich BER hätte bauen sollen.
Von den Kosten nicht zu reden: Diese stiegen in München von geplanten 2,6 auf 8,4 Milliarden DM bei Inbetriebnahme 1992. Selbst Architekt Paap vom Architekturbüro gmp, das 2012 fristlos von seinem Auftrag in Berlin entbunden wurde, sieht also mehr allgemeine als berlinspezifische Gründe im Desaster um BER.
BER muss erweitert werden
Doch Berlin wäre nicht Berlin, wenn man, kaum der Katastrophe entronnen, nicht schon neue grosse Pläne hätte. Der Flugverkehr in Berlin sei doppelt so stark gewachsen wie der Durchschnitt in Deutschland, erläutert BER-Chef Lütke Daldrup. Statt der 15 Millionen Passagiere 2003 habe man jetzt 33 Millionen Passagiere pro Jahr. «Das heisst: Wir werden erweitern müssen.»
Bis 2040 sollen 40’000 Menschen am Flughafen BER arbeiten und einen Umsatz von acht Milliarden Euro pro Jahr generieren. Der alte Ostberliner Flughafen Schönefeld soll bis 2025 im Betrieb sein, Tegel nach der Eröffnung von BER im Herbst 2020 definitiv schliessen.
Zwar haben die Berliner in einer Volksabstimmung für den Erhalt des liebgewonnenen alten Flughafens gestimmt, der einst für 2,5 Millionen Passagiere gebaut worden war und heute elf Millionen abfertigt. Trotzdem ist sein Ende besiegelt. Denn die Lärm- und Sicherheitsvorschriften des Flughafens mitten in Berlin erlauben einen Weiterbetrieb nicht.