Vor drei Tagen hat in Nordkorea die Oberste Volksversammlung entschieden, sämtliche Abkommen mit Südkorea zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit aufzuheben. Dies reiht sich ein in einen grundsätzlichen Kurswechsel, den das nordkoreanische Regime in den letzten Wochen vollzogen hat: Mitte Januar kündigte Diktator Kim Jong-un an, Nordkorea strebe nicht mehr eine friedliche Wiedervereinigung mit dem Süden an. Und gleichzeitig erklärte er Südkoreas Regierung und Gesellschaft zu Feinden. Der ehemalige deutsche Botschafter in Nordkorea, Thomas Schäfer, schätzt den Kurswechsel ein.
SRF News: Was steckt hinter diesem Kurswechsel des nordkoreanischen Regimes?
Thomas Schäfer: Es ist nur ein nomineller Kurswechsel. Das Ziel Nordkoreas war es immer, Südkorea zu kontrollieren. Man nannte das Ganze Wiedervereinigung. Der langjährige Wiedervereinigungsplan Nordkoreas bestand darin, dass die beiden Gesellschaftssysteme zunächst weiter nebeneinander existieren sollten. Die innerkoreanische Grenze sollte beibehalten werden, es sollte aber eine gemeinsame Aussen- und Sicherheitspolitik geben. Die amerikanischen Truppen sollten Südkorea verlassen.
Ich glaube nicht, dass jetzt eine akute Kriegsgefahr besteht.
Jetzt hat Kim Jong-un gesagt: Wir streben keine Wiedervereinigung mehr an, sondern Südkorea ist der Feind, wir können notfalls auch mit Atomwaffen gegen Südkorea vorgehen. Das ist aber letztlich kein wesentlicher Unterschied. Es geht Nordkorea weiterhin um die Kontrolle Südkoreas und die Lockerung und Auflösung der Allianz Südkoreas mit den USA.
Sind diese Ankündigungen Nordkoreas Vorboten eines militärischen Angriffs gegen den Süden?
Ich glaube nicht, dass jetzt eine akute Kriegsgefahr besteht. Die Nordkoreaner sind keine Selbstmörder. Die wissen natürlich, wenn sie Südkorea jetzt angreifen, dann würden Südkorea und die USA zurückschlagen. Wenn allerdings Präsident Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewinnen sollte, hofft Nordkorea wieder mit den USA ins Gespräch zu kommen, um bei der Forderung nach einem Rückzug der amerikanischen Truppen Zugeständnisse zu erhalten.
Sind es genau solche Verhandlungen mit den USA, die Nordkorea anstrebt?
Es war klar, dass Nordkorea sich von der Biden Administrationen keine Zugeständnisse erhoffte. Die Regierung Biden hat genau das Richtige gemacht: Sie haben immer Gespräche angeboten, haben aber gleichzeitig die Allianz mit Südkorea gefestigt und auch Japan in eine trilaterale Allianz eingebunden.
Ich glaube, dass die Politik der internationalen Gemeinschaft richtig war.
Als Trump 2019 in Gespräche mit Kim Jong-un eintrat und sich mit ihm in Hanoi traf, da haben die Nordkoreaner gehofft, dass Trump in der Frage des Abzugs der amerikanischen Truppen Zugeständnisse machen würde. Jetzt hoffen sie, dass es in einem neuen Anlauf klappen könnte.
Seit Jahren bestehen harte Sanktionen des Westens gegenüber Nordkorea. Welche Hebel hat der Westen noch?
Ich glaube, dass die Politik der internationalen Gemeinschaft richtig war: Sicherheitsgarantien für Nordkorea, wirtschaftliche und politische Anreize, Gesprächsangebote – und Sanktionen. Diesen Kurs sollte man beibehalten. Die Elite, die den Kurs des Landes bestimmt, ist relativ klein. Unter diesen Leuten gab es bis vor einigen Jahren auch Stimmen, die für einen gemässigteren Kurs eintraten.
Diese Leute sind verstummt. Sie sitzen aber immer noch da und haben einen gewissen Einfluss. Man muss also an sie appellieren, und hoffen, dass sie wieder mehr Macht gewinnen und dann auf die Angebote der internationalen Gemeinschaft eingehen.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.