Seit Monaten bombardiert Russland grossräumig die Ukraine und zielt auf die kritische Infrastruktur. Für Menschenrechtsorganisationen und Völkerrechtlerinnen sind diese Attacken Kriegsverbrechen. Zuletzt ist es auch vereinzelt zu Angriffen auf Russland gekommen. Am Dienstagmorgen, so meldet der Kreml, habe es einen Drohnenangriff auf Moskau gegeben.
Was ist passiert? Sergej Sobjanin ist Bürgermeister in Moskau. Gemäss seinen Angaben haben Drohnen «geringfügige Schäden» an mehreren Gebäuden verursacht. Zwei Personen wurden leicht verletzt. SRF-Russlandkorrespondent Christof Franzen sagt: «Das russische Aussenministerium spricht von insgesamt acht Drohnen.» Alle seien allerdings getroffen oder abgelenkt worden. «Die abgelenkten Drohnen seien aber auf mehrere Wohnhäuser gefallen, heisst es von russischer Seite», so Franzen weiter. Russische Medien berichten derweil von rund 25 Drohnen.
Was sagen die beiden Kriegsparteien? Die russische Regierung macht die Ukraine für die Angriffe verantwortlich und droht mit Vergeltung. Kiew dementiert. «Natürlich sind wir nicht direkt daran beteiligt», sagte der Berater des Präsidentenbüros in Kiew, Michailo Podoljak. Was letztlich stimmt, kann derzeit nicht geklärt werden.
Hat die russische Verteidigung versagt? Nicht, wenn es nach dem Kreml geht. So lobte der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu seine Flugabwehr. Nicht ganz so überzeugt war gemäss Franzen Wladimir Putin; die Flugabwehr in Moskau habe «grundsätzlich funktioniert, aber es gebe Verbesserungsbedarf», so der russische Präsident. Eine für Franzen interessante Frage stellte der russische Militärexperte Juri Fjodorow: «Offensichtlich haben die Flugobjekte über Hunderte von Kilometern russisches Territorium überflogen. Aber was ist mit dem Gebiet zwischen der ukrainischen Grenze und Moskau? Ist dieses Gebiet ungeschützt?»
Darf die Ukraine überhaupt russisches Territorium angreifen? Grundsätzlich schon. Das sagt Astrid Epiney. Die Völkerrechtsprofessorin an der Universität Freiburg erklärt: «In einem Krieg ist es möglich, Ziele anzugreifen, die sich auf dem gegnerischen Hoheitsgebiet befinden.» Das bedeutet: Greift die ukrainische Armee – oder Einheiten, welche dem ukrainischen Staat unterstehen – Russland in dessen Territorium an, muss das an und für sich kein Völkerrechtsbruch sein.
In einem Krieg ist es möglich, Ziele anzugreifen, die sich auf dem gegnerischen Hoheitsgebiet befinden.
Allerdings gilt auch hier das humanitäre Völkerrecht. Daraus geht hervor: «Die am Konflikt beteiligten Parteien dürfen ihre Kriegshandlungen nur gegen militärische Ziele richten.» So sagt auch Epiney, dass Angriffe gegen zivile Gebäude immer ein Völkerrechtsbruch darstellen – es sei denn, die Infrastruktur wird für militärische Zwecke umgenutzt.
Was wären legitime Kriegsziele? Jegliche Ziele, die den russischen Angriff beenden oder schwächen würden; etwa «Militärflugplätze, Kasernen oder Ausbildungsplätze für militärische Kader», sagt Völkerrechtsprofessor Oliver Diggelmann von der Universität Zürich.
Zudem betont er: «Im konkreten Fall, da Russland nicht nur eine Grenzregion der Ukraine beansprucht, sondern deren Existenz generell infrage stellt, wäre auch ein Eindringen ukrainischer Truppen weit nach Russland verhältnismässig.» Dies würde nämlich dem Ziel dienen, die «Kampfkraft Russlands in der Tiefe zu schwächen» und damit den Angriff auf das eigene Land abzuwehren.