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Kinderzulagen in Österreich «Man schafft zwei Klassen von Menschen»

Wie schafft man es, dass ein Land für Migranten unattraktiver wird? Die neue Regierung aus ÖVP und FPÖ hat einen Plan. Der verletze aber EU-Recht, sagt SRF-Redaktor Joe Schelbert.

SRF News: Österreichs Regierung plant, Familien- und Kinderzulagen für Ausländer an die Kaufkraft der Herkunftsländer anzupassen. Wie geht das?

Joe Schelbert: Indem man zwei Klassen von Menschen schafft. Für Österreicher, die in Österreich arbeiten und deren Kinder in Österreich leben, ändert sich nichts. Wenn Sie aber Ausländer sind und Ihre Kinder in Rumänien oder Lettland wohnen, erhalten Sie nicht mehr die Kinderzulage von rund 130 Euro, sondern nur noch so viel, wie die Kinderzulage in Bulgarien oder Slowenien beträgt. Dieser Geist oder Ungeist, zwischen Ausländern und Einheimischen zu unterscheiden, zeigt sich auch in einer anderen Vorlage: Danach kann man bei den Steuern 1500 Euro pro Kind vom Reineinkommen abziehen, aber nur wenn die Kinder in Österreich leben.

Wie gross ist das Sparpotential mit der Indexierung der Familienhilfe?

Ein Gutachten der Regierungsparteien rechnet mit 100 Millionen Euro, die weniger ins Ausland bezahlt werden müssten. Das mag sein. Aber man kann davon ausgehen, dass Ausländer dann ihre Kinder einfach in Österreich anmelden, auch wenn sie weiterhin zum Beispiel in Slowenien leben. Das müsste dann alles mit einem bürokratischen Apparat kontrolliert und sanktioniert werden, was auch wieder kostet. So wird das Sparpotential am Ende wohl um einiges geringer ausfallen.

Über 90 Prozent der betroffenen 120'000 Kinder leben in Osteuropa, nicht in der Schweiz oder in Schweden.

Darf Österreich die Zulagen an die Kaufkraft der Herkunftsländer anpassen?

Überhaupt nicht. Es entsteht eine Rechtsungleichheit. Wenn Sie in Österreich arbeiten, haben sie beim Lohn Sozialabzüge. Die werden auch von Rumänen oder Litauern bezahlt, und zwar ohne Abstriche. Wenn es dann aber darum geht, etwas zurückzuerhalten, spielt es gemäss der Regierung um Sebastian Kurz eine Rolle. Dazu existieren auch EU-Richtlinien. Nach denen sind Arbeitskräfte überall in der EU bezüglich Steuern und Sozialleistungen gleichgestellt. Es wird damit also EU-Recht verletzt. Und es gibt auch eine Klarstellung des EU-Gerichtshofes, die besagt, dass es egal ist, wo die Kinder wohnen, wenn ein Arbeitnehmer sein Haupteinkommen im Erwerbsstaat, in dem Fall also in Österreich, erzielt.

Welchen Standpunkt vertritt die neue Regierung?

Sie meint, eine Indexierung sei gerecht, es treffe ja alle Staaten, und wer Kinder in der Schweiz oder in Schweden habe, erhalte dann die Kinderzulage in der Höhe der Schweiz. Nur: Von den über 120'000 Kindern, die davon betroffen sind, leben die wenigsten in der Schweiz oder in Schweden. Über 90 Prozent leben in Osteuropa, und die würde es treffen. Parlamentarier der Regierungskoalition denken deshalb zurzeit darüber nach, auch im Inland Unterschiede – eine Indexierung der Kinder- und Familienzulagen – zu machen, so dass man im Burgenland weniger bekommt als in Vorarlberg. Aber dann würde man den Protest bis in die Schweiz hören.

Die meisten Migranten, die in Österreich leben, stammen aus Osteuropa. Wie reagiert man in Rumänien, Slowenien usw. auf die Pläne?

Mit Protest und dem Rechtsweg. Es gibt schon Anfragen im EU-Parlament. Slowenien und die Slowakei haben Klagen angekündigt. Man wird mit der Mehrheit im Parlament die Vorlagen vielleicht verabschieden, aber jahrelang prozessieren und einen Kleinkrieg mit Brüssel und den Nachbarländern ausfechten müssen.

Eine Klarstellung des EU-Gerichtshofes besagt, dass es egal ist, wo die Kinder wohnen, wenn ein Arbeitnehmer sein Haupteinkommen im Erwerbsstaat erzielt.

Und was sagt man in Österreich zu den Plänen aus Wien?

Es gibt nicht wirklich starken Widerstand, weil es, salopp gesagt, ja vorläufig nur die anderen trifft. Sicher: Kirchliche Kreise und Ausländerorganisationen protestieren dagegen, aber in der breiten Bevölkerung ist die Sache nicht so wichtig oder gar populär. Österreichs rechtsnationale Regierung steht bei ihren Wählern im Wort. Sie halten im Moment zusammen – es war ja ein Wahlkampfschlager auf Kosten anderer. Aber ich bin mir sicher, das wird nicht so leicht durchkommen.

Das Gespräch führte Simon Leu.

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