In seinen beiden letzten Jahren als Papst setzte Benedikt XVI. fast 400 Priester ab. Die Priester hatten Kinder sexuell belästigt, manche gar vergewaltigt.
2011 wurden 260 und 2012 rund 124 Priester abgesetzt. Dies belegt ein Dokument, welches der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) vorliegt. 2008 und 2009 betrug die Zahl 171. Für 2010 liegen keine Angaben vor.
Der Vatikan bestritt die Zahlen zunächst: Sie seien falsch überliefert worden. Später zog Vatikansprecher Federico Lombardi diese Aussage zurück und bestätigte deren Richtigkeit gegenüber der «BBC».
Reale Zahlen vielleicht noch höher
Die Zahl der Fälle von 2011 und 2012 hat sich gegenüber 2008 und 2009 mehr als verdoppelt. Grund dafür sind vermutlich zahlreiche Medienberichten über Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche, die 2010 für Aufsehen sorgten, nachdem Opfer vermehrt an die Öffentlichkeit getreten waren.
Hintergrund war eine neue Regelung des Vatikans: Er erhöhte die Verjährungsfrist im Kirchenrecht für pädosexuelle Verbrechen von zehn auf zwanzig Jahre – gerechnet ab dem 18. Geburtstag der Opfer.
Erstmals wird damit eine umfassende Statistik bekannt, die zeigt, wie viele Priester wegen Missbrauchsfällen abgesetzt wurden. Ein mit der Sache vertrauter Anwalt behauptet, die realen Zahlen lägen vermutlich noch viel höher, da nur Fälle eingeschlossen seien, die nach Rom gemeldet wurden.
Daten blieben bei Anhörung unerwähnt
Die Zahlen stammen von internem Datenmaterial des Vatikans zur Verteidigung des Heiligen Stuhls bei einer öffentlichen Anhörung vor der UNO in Genf. Eine Vatikan-Delegation musste am Donnerstag und Freitag erstmals vor dem UNO-Kinderrechtsausschuss in Genf zum Missbrauch Minderjähriger in der katholischen Kirche aussagen.
Bei der achtstündige Befragung am Freitag kam jedoch nur eine Zahl zur Sprache: 2012 seien dem Vatikan 418 neue Fälle von Kindsmissbrauch gemeldet worden, gab Erzbischof Silvano Tomasi bekannt.
Im Dezember hatte es der Vatikan noch abgelehnt, einen umfassenden Fragebogen des Ausschusses zu Fällen von Kindesmissbrauch zu beantworten. Die gleichen Fragen wurden nun in Genf gestellt.
Ratzinger stellte Weichen
AP analysierte auch die Jahresberichte des Vatikans. Dabei stellte die Nachrichtenagentur eine grosse Entwicklung im Vorgehen gegen pädophile Geistliche seit 2001 fest.
Damals forderte der Vatikan die Bischöfe auf, alle glaubwürdigen Fälle von Kindsmissbrauch durch Priester nach Rom zu senden. Bevor er 2005 zum Papst ernannt wurde, stellte Kardinal Joseph Ratzinger fest, dass die Bischöfe dem Aufruf keine Folge leisteten und die fehlbaren Priester einfach versetzten. Der Deutsche setzte sich danach für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber den Tätern ein.
In der Folge wurden 2005 erstmals 21 Verfahren gegen fehlbare Geistliche eingeleitet. 2006 waren es 43 Verfahren, zudem wurden 362 Fälle erfasst. 2007 berichtete der Vatikan von 365 Fällen. In all diesen Jahren ist jedoch nicht bekannt, in wie vielen Fällen es sich um Kindsmissbrauch handelte.
Auch Vertuscher sollen bestraft werden
Die Entlassung pädophiler Priester allein reicht nach Überzeugung des Netzwerks von Missbrauchsopfern (SNAP) nicht aus. Benedikts Nachfolge im Amt, Franziskus, müsse auch mit der Entlassung der Amtsträger beginnen, die Missbrauch vertuschten. «Bis das geschieht, wird sich wenig ändern», erklärte die Organisation. Die Kirche müsse überdies sicherstellen, dass Geistliche, die Kinder sexuell belästigten, strafrechtlich verfolgt würden.
Der Amtsentzug ist derzeit die Höchststrafe für Priester, die durch ein kirchliches Tribunal verurteilt werden. Gefängnisstrafen oder andere Strafen, die einen erneuten Missbrauch verhindern würden, sind nicht vorgesehen.
Der Vatikan verteidigt sich mit dem Argument, die Opfer könnten den Missbrauch bei der Polizei melden.