Flussfischer Domingo Vargas zeigt auf eine frei liegende Sandbank: «Vielleicht freuen sich Touristen über einen neuen Strand, für uns ist es einfach nur noch traurig.» Mehr als 30 Jahre schon fischt der 56-Jährige im Río Paraná, nach dem Amazonas der zweitlängste Fluss in Südamerika. Eine Trockenheit wie diese habe er noch nie erlebt.
Früher kam Vargas am Ende des Tages oft mit 100 Kilo Fisch nach Hause: «Seit der Wasserstand so niedrig ist, sind es mit Glück zwanzig.» Es gäbe immer weniger Fische. Sie erreichen ihre Laichplätze in den Feuchtgebieten am Flussufer nicht, wenn der Paraná so wenig Wasser führe, erklärt Vargas: «Am besten wäre ein Fangverbot für ein Jahr, für alle. Aber, was soll ich tun? Um zu überleben, bräuchte meine Familie für diese Zeit eine Unterstützung von der Regierung.»
Der Paraná ist für Argentinien die wichtigste Wasserstrasse: 80 Prozent der landwirtschaftlichen Exporte des Landes gehen über den Fluss. Doch schon seit zwei Jahren regnet es zu wenig, der Fluss führt so wenig Wasser wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Der Wasserpegel ist so niedrig, dass Schiffe nicht mit voller Fracht fahren können. Immer wieder ist die Trinkwasserversorgung der Städte am Fluss in Gefahr.
Hydro-Ingenieurin Viviana Zucarelli erforscht den Fluss seit mehr als 30 Jahren an der Universidad Nacional del Litoral in Santa Fe. Es fehle an Planung für den Krisenfall und auch an Prävention: «Wenn wir nicht handeln, werden Extremereignisse wie Überschwemmungen und Dürren immer intensiver und häufiger auftreten. Die Situation ist sehr besorgniserregend, und zwar nicht nur aus hydrologischer Sicht, sondern auch in Hinblick auf die Wirtschaft, die Wasserqualität und die Tierwelt», erklärt die Expertin für Wasserwirtschaft.
Der Wasserkreislauf sei gestört. Der Grund sei eine Kombination aus mehreren Faktoren: «Klimawandel, Abholzung, veränderte Landnutzung, eine Verstädterung, die die Böden versiegelt und auch ein mangelndes Bewusstsein für die Bedeutung der Wasserressourcen in jeglicher Hinsicht.»
Fischer Domingo Vargas hatte sich für seine vier Söhne eine andere Zukunft gewünscht. «Aber sie wollten Fischer werden», sagt er und zuckt mit den Schultern. «Ich glaube, der Beruf wird aussterben», fügt seine Frau Elena hinzu. Was ihr Mann und die Söhne nach Hause bringen, verarbeitet sie zu Fischfilets und aus dem, was übrigbleibt, macht sie eine Füllung für Teigtaschen, für Empanadas. Beides verkauft sie an Nachbarn und auf Märkten. «Nur wenn man den Fisch weiterverarbeitet, kann man immerhin ein bisschen Geld verdienen», sagt sie. «Womit sollen wir sonst die Stromrechnung bezahlen?»
Der Fluss sei alles für ihre Familie, sagt die Mutter, «er ist unser Leben». Sie wünscht sich, dass die Menschheit endlich ein Bewusstsein für Naturschutz entwickelt: «Angefangen bei uns in der Nähe, manche werfen ihren Müll in den Fluss. Aber auch die da oben müssen handeln.» Mit «die da oben», meint sie die Politik. Auch in Argentinien ist die Klimakonferenz in Glasgow in diesen Tagen eins der Hauptthemen.
Ihr Mann will weiter versuchen, die Familie mit Fischfang über Wasser zu halten und hofft, dass das Flussbett nicht langfristig zum Sandstrand wird.