Die Tenniswelt ist in Aufruhr: In China und Hongkong werden vorerst keine Turniere der Frauen mehr durchgeführt. Das hat der Weltverband der Tennisspielerinnen WTA entschieden. Dem Verband könnten damit hunderte Millionen Dollar Einnahmen entgehen, denn China ist einer der wichtigsten Märkte für das Frauentennis.
Die WTA begründet diesen Entscheid damit, dass die Situation um die chinesische Spielerin Peng Shuai nach wie vor unklar sei. Man habe Zweifel daran, dass sie frei und sicher sei.
Von Shuai fehlte während mehrerer Wochen jede Spur, nachdem sie einem chinesischen Spitzenpolitiker sexuellen Missbrauch vorgeworfen hatte. Dann gab es erste Lebenszeichen, Staatsmedien zeigten sie etwa, wie sie Autogramme an Kinder verteilte. Zweifel an ihrem Wohlergehen blieben aber.
Vor wenigen Stunden gab das Internationale Olympische Komitee bekannt, dass es einen zweiten Videoanruf mit der ehemaligen Weltranglistenersten im Doppel führen konnte – und liess verlauten, es teile die Sorge um das Wohlergehen der Spitzensportlerin. Brisant: In Peking finden im kommenden Februar die Olympischen Winterspiele statt.
China seinerseits hat die Entscheidung der WTA zur Aussetzung aller Turniere in der Volksrepublik verurteilt. Die Haltung Chinas sei deutlich, sagte ein Sprecher des Pekinger Aussenministeriums. Man sei strikt gegen Massnahmen, mit denen Sport «politisiert» würde. «Eine typische Standardantwort, die in einer solchen Situation zu erwarten war», nennt Astrid Freyeisen, China-Korrespondentin der ARD, das kurze Statement.
In China wird der Fall totgeschwiegen
Zur schmallippigen Kommunikation passt: Im chinesischen Internet und auf den sozialen Medien herrscht Grabesstille, wenn es um die populäre Tennisspielerin geht. «Der letzte Eintrag über sie ist fast ein Jahr alt. Über ihre Situation und die Missbrauchsvorwürfe ist nichts zu finden. Die Nachricht wird total unterdrückt», berichtet die Korrespondentin.
Dass die WTA überhaupt auf Konfrontationskurs mit China geht, ist bemerkenswert: Sämtliche grossen Sportverbände der Welt sehen in China mit seinen 1.4 Milliarden Menschen einen riesigen Wachstumsmarkt. Sei es, wenn es um zahlende Konsumenten von Events geht, aber auch zunehmend als Rekrutierungspool für aktive Sportlerinnen und Sportler. «Denn mit dem zunehmenden Wohlstand wollen die Menschen in China auch ihre Gesundheit vorantreiben», sagt Freyeisen.
Mit einem Sturm der Entrüstung in der breiten Bevölkerung über das «tennisfreie» Jahr rechnet die Korrespondentin allerdings nicht: Abseits von Eliten, die sich über Proxy-Server ins Internet wählen, dürfte kaum jemand überhaupt über den Fall Peng Shuai Kenntnis haben – und auch die Regierung in Peking dürfte den Rückzug des Frauentennis öffentlich kaum thematisieren.
Peking sonnt sich im Licht von Grossanlässen
Ungemütlich könnte es für das Regime aber werden, wenn sich ein Schatten über die anstehenden Olympischen Spiele legen sollte. Denn Berichte über die Verfolgung von Sportlerinnen lassen die Vorfreude auf den Mega-Event kaum steigen.
«Für China sind solche Grossanlässe ein wichtiges Vehikel, um international Ansehen zu gewinnen», schliesst Freyeisen. Grosse Sportverbände, die sich von China abwenden, seien denn auch ein diplomatisches und imagemässiges Problem für Peking.