«San Quentin, du bist für mich die Hölle auf Erden» – das sang Johnny Cash vor 50 Jahren, am 24. Februar 1969 im berüchtigten San Quentin-Gefängnis für die Häftlinge. Cash gab damit den Gefangenen eine Stimme, die unter teils prekären Zuständen lebten. Der Journalist Arndt Peltner wohnt heute nicht weit entfernt vom Gefängnis, das nördlich von San Francisco liegt. Er spricht dort regelmässig mit den Insassen.
SRF News: Ist San Quentin auch heute noch die Hölle auf Erden?
Arndt Peltner: Es war bis in die 1990er-Jahre hinein die Hölle auf Erden – brutaler Gefängnisalltag, in dem rivalisierende Gangs ihre Strassenkämpfe hinter Gittern einfach weiterführten. In den 1990er-Jahren wurden in Kalifornien einige neue Gefängnisse gebaut, um die Situation in San Quentin zu entschärfen. Deshalb ist San Quentin heute etwas Besonderes: Es gibt 70 Beschäftigungsprogramme, von einer Gefängnis-Uni über Yoga-Kurse bis hin zu Malkursen und Sportveranstaltungen. Man versucht hier viel zu machen, und es ist besser geworden als früher.
Wünscht man sich als Häftling heute nach San Quentin?
In Kalifornien auf alle Fälle. San Quentin ist eines der wenigen Gefängnisse, das am Rande der Metropolgegend der San Francisco Bay Area liegt. Hier gibt es Universitäten wie UC Berkeley oder SF State, wo viele Professoren und Studenten versuchen, etwas zu erreichen. Viel hängt von diesen Freiwilligen ab, die von aussen kommen. Das hat nichts mit der Gefängnisleitung oder der kalifornischen Politik zu tun. Wegen dieser Vorzüge versucht jeder Häftling, nach San Quentin zu kommen, auch wenn es ein altes Gebäude ist.
Wenn jemand aufs WC geht, sitzt der andere mit dem Kopf daneben.
Ich war in einer dieser Zellen. Die sind extrem klein und es gibt es noch eine Toilette und ein Waschbecken darin. Wenn jemand auf die Toilette geht, sitzt der andere praktisch mit dem Kopf daneben.
Johnny Cash hat damals kritisiert, das US-Gefängnissystem scheitere bei der Rehabilitierung. Gilt das noch heute?
Nach wie vor ist das US-Strafsystem nicht auf Rehabilitierung ausgerichtet. In anderen kalifornischen Gefängnissen gibt es kaum Programme für die Gefangenen. Da sitzt man die Zeit einfach ab oder wird schlichtweg hinter den Mauern vergessen.
Kein anderes Land sperrt so viele Menschen ein wie die USA. Ist das so, weil es eher um Strafe als um Rehabilitierung geht?
Ja, die Gefängniszeit hier bedeutet wirklich Strafe. Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ist nicht das oberste Ziel. Fast 80 Prozent der entlassenen Strafgefangenen enden nach fünf Jahren wieder hinter Gittern. Dazu kommt, dass es sehr lange Haftstrafen gibt. Viele sitzen lebenslänglich ohne Aussicht auf Begnadigung. Wenn man drei Straftaten begeht, sitzt man oft Jahrzehnte hinter Gitter, selbst wenn man nur eine Pizza geklaut hat. «Three strikes, and you’re out» heisst das entsprechende Gesetz. Deshalb sind die Gefängnisse in den USA überfüllt.
Johnny Cash machte sich für Reformen stark. Hat sich diesbezüglich seit 1969 etwas gebessert?
Es hat sich sicherlich etwas verändert. Aber die Zustände in den Gefängnissen sind nach wie vor hart. Wenn etwa ein Schweizer oder ein deutscher Häftling in sein Heimatland abgeschoben wird, um dort die Reststrafe abzusitzen, zählt die Haftstrafe in den USA meist doppelt.
Der Rassismus hat nachgelassen.
Eine Verbesserung ist aber, dass der Rassismus seit 1969 nachgelassen hat. Zwar sind nach wie vor prozentual mehr Schwarze hinter Gittern, aber es gibt deutlich weniger rassistische Übergriffe seitens der Wärter.
Gerade ist im Kongress eine Strafrechtsreform verabschiedet worden. Was bringt die?
Diese Reform betrifft die Gefangenen in den Bundesgefängnissen und damit gerade mal ein Zehntel aller Häftlinge in den USA. Die Hoffnung ist nun, dass die Bundesstaaten nachziehen und ihre eigenen Strafrechtsreformen durchsetzen. Damit könnte einiges erreicht werden, etwa dass Gefangene freikommen, die wegen Drogenkonsums langjährige Haftstrafen erhalten haben. Drogenkonsum wurde in den letzten Jahrzehnten hart bestraft. Crack-Konsumenten bekamen höhere Strafen als Kokain-Konsumenten. Das war damals eine gezielte Aktion gegen die «inner cities», wo viele Schwarze gelebt haben.
Das Gespräch führte Andrea Christen