Die Proteste, Vermittlungsversuche in letzter Minute, die öffentliche Bitte des Mossad-Chefs an Premier Benjamin Netanjahu, die Justizreform doch wenigstens zu vertagen: es nützte alles nichts. Denn Premier Netanjahu ist gar nicht der Kapitän seiner Regierung, die Israel unverfroren durch beispiellos turbulente Gewässer steuert. Erst kurz vor der Abstimmung in der Knesset wurde der 73-jährige Netanjahu aus dem Spital entlassen, wo er einen Herzschrittmacher bekam.
Herzstück der Reform verabschiedet
Nur Stunden später stimmte das Parlament mit 64 zu null Stimmen einem Herzstück der umstrittenen Justizreform zu: Die Opposition hatte den Parlamentssaal aus Protest geschlossen verlassen. Dafür machten die rechtsnationalen, ultrareligiösen Kleinparteien keinen Hehl daraus, dass dies ihr Sieg war. Hätte sich Netanjahu auf Kompromisse eingelassen, wäre er sich ihrer Unterstützung nicht mehr sicher gewesen und seine Regierung wäre gestürzt. Der Premier, der wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht steht und bei einer Verurteilung mit einer Gefängnisstrafe rechnen müsste, hat sich erpressbar gemacht.
Mit dem Gesetz, das die Regierungsmehrheit heute verabschiedet hat, wird das Höchste Gericht teilweise ausgeschaltet. Auch wenn Gesetze gegen Grundrechte verstossen oder ausschliesslich im Interesse einiger Regierungsmitglieder sind: Das Höchste Gericht soll solche Gesetze nicht mehr für ungültig erklären können.
Wie reagieren die Institutionen?
Die Opposition hat eine Klage vor ebendiesem Höchsten Gericht angekündigt. Das Höchste Gericht würde das heute verabschiedete Gesetz höchstwahrscheinlich für ungültig erklären. Um das Urteil würde sich die Regierung foutieren, mit der Begründung: Das Gericht habe ja gar keine Rechtsgrundlage für ein solches Urteil.
Und dann müssten Armeegeneräle, Soldatinnen und Soldaten, die Geheimdienste und die Richterinnen und Richter entscheiden, wem sie in einem solchen Fall folgen möchten: der Regierung oder dem Höchsten Gericht. Eine unmögliche Entscheidung. Das wäre eine Staatskrise.
So weit sei es noch nicht, sagte Mossad-Chef David Barnea. Wenn es denn soweit sei, werde er auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Das denken alle, die sich im Falle eines Showdowns zwischen Gerichten und Regierung entscheiden müssten. Ob Israel eine solche Entscheidung mit unabsehbaren Konsequenzen erspart wird, ist heute ein Stück unwahrscheinlicher geworden.