Jordanien galt lange Zeit als Hort der Stabilität im Mittleren Osten. Nun sieht es so aus, als ob ein schwelender Streit zu eskalieren droht. Angeblich wurden mehrere hochrangige Würdenträger festgenommen. Der Halbbruder des Königs, Prinz Hamsa bin Hussein, soll seit Samstag unter Hausarrest stehen. Es wird über einen gescheiterten Staatsstreich spekuliert. Islamwissenschafter Reinhard Schulze sagt, was hinter den Gerüchten und Spekulationen steckt.
SRF News: Was vermuten Sie hinter den Putsch-Gerüchten und Spekulationen über eine Verschwörung gegen den jordanischen Herrscher?
Reinhard Schulze: Das Komplott verdeckt eigentlich eine schon seit Wochen und Monaten existierende Proteststimmung im Land. Diese ist sehr stark und hat sich vor allem auch in den Gemeinschaften geäussert, die mit den arabischen Stämmen im Osten des Landes zu tun haben.
Das Komplott verdeckt eigentlich eine schon seit Wochen und Monaten existierende Proteststimmung.
Hier haben wir eine Proteststimmung, die sich gegen Korruption und gegen Ungerechtigkeitsempfindungen, aber auch gegen die extrem schlechte Versorgungslage gerichtet hat. Die Covid-Krise hat noch das Übrige dazu beigetragen, dass so etwas wie eine Proteststimmung entstanden ist. Auf dieser Stimmung aufbauend wird jetzt dieses Gerücht über einen möglichen Putschversuch, eine Palastrevolte aufgebaut.
Die Regierung spricht immer wieder von ausländischen Mächten, die sich eingemischt haben sollen. Was sind das für Mächte und welche Rolle spielen auch radikale islamische Kräfte?
Schaut man sich das Tableau der Mächte um Jordanien herum an, so fällt auf, dass eigentlich alle üblichen Verdächtigen ausfallen können – Iran fällt aus, Syrien fällt aus, Irak fällt aus, Israel fällt aus. Das einzige Land, dass in irgend einer Form direkt intervenieren könnte, wäre Saudi-Arabien. Weil zwischen Saudi-Arabien und Jordanien doch auch sehr enge politische, wirtschaftliche und auch strategische Interessen bestehen.
Das einzige Land, dass in irgend einer Form direkt intervenieren könnte, wäre Saudi-Arabien.
Aber all das reicht nicht aus, um zu rechtfertigen, dass es sich tatsächlich um eine ausländische Einmischung handelt. Wir müssen davon ausgehen, dass hier in erster Linie ein innenpolitischer Protest zum Zuge kommt, der sich dann in der Form eines möglichen Komplottes äussert.
Inwiefern gefährdet diese Lage die Sicherheit in der ganzen Region?
Politische Veränderungen und Veränderungen in der Machtarchitektur im Lande haben unmittelbare Auswirkungen auch auf die Sicherheitslage etwa am Golf oder in Saudi-Arabien. Wenn tatsächlich ein Putsch oder ein Komplott in Jordanien stattfindet, ist die Situation in Saudi-Arabien sehr viel wackeliger als sie bislang ist. Deshalb haben die Mächte um Jordanien herum ein grosses Interesse daran, die Situation in Jordanien so zu belassen wie sie ist, und ja nicht daraus ein zweites Syrien oder einen zweiten Irak werden zu lassen.
Das Gespräch führte Keto Schumacher.