Umeshwar Singh Armo steht ein paar hundert Meter oberhalb einer riesigen Kohlegrube, als plötzlich eine Explosion die Stille zerreisst. «Wir hören diese Explosionen fast jeden Tag», sagt der grossgewachsene, dunkle Indigene vom Stamm der Gond. Der 42-Jährige schaut nachdenklich der Staubwolke nach, die die Explosion ausgelöst hat. Durch die Sprengungen wird die Kohle vom Gestein getrennt.
«Unsere Häuser in den Dörfern bekommen durch die Erschütterungen Risse. Und unsere unterirdischen Wasservorräte werden zerstört.» Das sei sehr gefährlich, sagt Armo. «Es wird nicht mehr genug Wasser im Brunnen sein, um unsere Felder zu bewässern. Und das Trinkwasser wird kontaminiert.»
Armo lässt seinen Blick über die Kohlegrube schweifen, an deren Rand er steht: ein riesiger, dunkler Krater, der bis zum Horizont reicht.
«Der Wald gibt uns alles: Früchte, Holz, Schutz und Luft zum Atmen»
Die Mine ist seit 2013 in Betrieb. Für sie mussten Tausende Bäume gerodet werden – auf einer Fläche fast so gross wie die Stadt Freiburg. Denn die Kohlemine liegt mitten im besonders dichten und artenreichen Hasdeo-Wald, im Norden des zentral-indischen Bundesstaates Chhattisgarh.
Seitdem vor rund einem Jahrzehnt der Kohletagebau begonnen hat, hat sich das Leben Tausender Menschen dort fundamental verändert. Es sind überwiegend Indigene, also Ureinwohner Indiens, die seit Generationen im und vom Wald leben und die Bäume wie Götter verehren. «Wir sind sehr traurig», sagt Umeshwar Singh Armo. «Wir leben von diesem Wald. Er gibt uns alles: Früchte, Holz, Schutz und Luft zum Atmen.»
Noch 2009 hatte eine vom Umweltministerium in Delhi eingesetzte Expertengruppe den gesamten Hasdeo-Wald zur «No-go-Area» erklärt – und damit zum Tabu für den Bergbau. Doch nur zwei Jahre später gab der Umweltminister grünes Licht für die Kohleförderung. Davon profitiert auch Gautam Adani.
Der Inder ist der grösste private Entwickler von Kohlekraftwerken und Kohleminen weltweit und hat sich auch das Recht auf Ausbeutung dreier Kohleminen im Hasdeo-Wald gesichert – im Auftrag der Regierung von Rajasthan. Auch dank hervorragender Kontakte zur Politik ist Adani zum reichsten Mann Indiens und einem der reichsten Menschen der Welt aufgestiegen.
Der Kohlebergbau erschien vielen der einfach gebildeten Indigenen im Hasdeo-Wald zunächst wie ein Traum – mit dem Versprechen neuer Arbeitsplätze, von fliessendem Wasser und Strassen. Doch für viele ist er zum Albtraum geworden.
«Eigentlich wollte ich mein Land nicht verkaufen»
Shiv Prasad Kusro, ein Mann mit schwarzen, schulterlangen Haaren und goldenen Ohrringen, sitzt auf einem Plastikstuhl im Innenhof seines Lehmhauses. Wie Generationen vor ihm war er Reisbauer auf eigenem Feld – bis die Kohlemine kam. Sein altes Dorf, mitten im Wald gelegen, musste weichen. Kusro sagt: «Eigentlich wollte ich mein Land nicht verkaufen.»
Doch die Landkäufer versprachen viel Geld, umgerechnet 37’000 Franken – für ihn und seine beiden Brüder. So viel Geld hatte Kusro noch nie gesehen.
Als er trotzdem zögerte, hätten Vertreter der Verwaltung und des Minenunternehmens Adani Druck gemacht: «Wenn du dein Land nicht verkaufst, bekommst du Ärger. Wir kommen mit dem Bagger und demolieren dein Haus. Und dann musst du laufen. Und niemand wird kommen und dich retten.»
Am Ende verkaufte Kusro doch – wie 200 weitere Familien aus seinem alten Dorf. Sie alle wurden umgesiedelt. Heute bereut Kusro den Entscheid sehr. Er hat keine Arbeit in der Kohlemine bekommen und schlägt sich jetzt als Tagelöhner mit Feldarbeit für andere durch. Die Kompensation für sein altes Land reichte gerade, um ein neues Lehmhaus zu bauen. Doch seine Familie und das Dorf sind zerstreut.
«Früher hatten wir ein freies Leben», sagt Kusro. «Die ganze Grossfamilie wohnte zusammen. Heute leben meine Eltern, mein Bruder, meine Cousins alle getrennt voneinander. Wenn ich beim Essen sitze und daran denke, kommen mir die Tränen.»
Kusro, Armo und vieler ihrer Stammesgenossinnen und -genossen wollen nicht, dass nach der ersten Kohlemine weitere Minen in Betrieb genommen werden. Seit rund zehn Jahren demonstrieren sie dagegen, jeden Tag.
Längst verstorbene Menschen stimmten Landverkauf zu
Sie sind überzeugt, dass der Landverkauf für die Minen in vielen Fällen mit Tricks erzwungen wurde. «Wenn unsere Dorfversammlung der Kohleförderung nicht zustimmt, dann darf sie hier nicht stattfinden», sagt Kusro. Im Fall der geplanten neuen Mine habe die Dorfversammlung nicht zugestimmt.
Die Zustimmung der Waldbewohnerinnen und -bewohner sei gefälscht worden, kritisiert Ram Singh Armo. Er ist Chef seines Dorfes und Anführer der Demonstranten. Dass bei der Zustimmung zur Landnahme getrickst wurde, bestätigt auch Mukta Joshi, die Chef-Juristin des unabhängigen Thinktanks Land Conflict Watch in Delhi.
«Es gibt Berichte, die bestätigen, dass die Zustimmung der Dorfbewohnerinnen und -bewohner gefälscht wurde. Eine solche Fälschung wäre eine sehr schwerwiegende Verletzung der Gesetze und des Selbstbestimmungsrechts der Indigenen, die auch die indische Verfassung garantiert», sagte die Juristin gegenüber SRF. Joshi kennt Fälle aus dem Hasdeo-Wald, bei denen die Zustimmung für den Landverkauf angeblich von Leuten erteilt wurde, die längst gestorben waren.
Aus Protest gegen die Tricksereien marschierten Hunderte Indigene im letzten Herbst 300 Kilometer zu Fuss in die Hauptstadt Raipur. Genützt hat es nichts: Die Lokalregierung akquiriert weiter Land für neue Minen. Und hat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion noch mehr Bäume fällen lassen. Ein Regierungssprecher aus Raipur schiebt die Verantwortung von sich: Die Lokalregierung könne nichts machen, denn für die meisten Minen und für die Kohlepolitik sei die Zentralregierung in Delhi zuständig. Auch die Adani-Gruppe verweist auf andere.
«Wo sollen wir unseren Reis anbauen?»
Die Bäuerin Sunita Porte, eine vierfache Mutter, befürchtet, dass sie wegen der neuen Mine bald Haus und Ackerland verliert. Ihr Dorf würde unter der neuen Mine verschwinden. «Wenn sie die Kohle hier wegnehmen, wo sollen wir dann unseren Reis anbauen?», fragt Porte.
Auch sie protestiert gegen die neue Mine. Darum hätten die Adani-Leute ihren Mann unter Druck gesetzt. «Sie fragten ihn, ob er nicht ein Auto brauche oder Geld. Er müsse mich nur dazu bringen, nicht mehr zum Protestkampf zu gehen.»
Sunita Porte geht trotzdem. Sie kennt zu viele Geschichten von Dörflern aus der Nachbarschaft, die ihr Land für die Minen verkauft haben und nun unglücklich sind.