Gut 70'000 Kilogramm an Kokain haben Fahnderinnen und Fahnder im Hafen von Rotterdam letztes Jahr sichergestellt. Das sind rund 74 Prozent mehr als im Vorjahr, in dem ebenfalls schon eine Rekordmenge sichergestellt wurde. Damit bestätigt sich ein Trend: Immer mehr Kokain wird nach Europa geschmuggelt. Vieles davon kommt über Rotterdam und Antwerpen auch nach Zürich. Wie, weiss Benedikt Strunz vom NDR.
SRF News: Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Benedikt Strunz: Sie hat zwei Gründe. Wir sehen zum einen seit Jahren wachsende Anbauflächen in Südamerika. Zum anderen ist in den USA der Kokainpreis gesunken. Die wichtigste harte Droge ist dort nicht mehr Kokain, sondern Crystal Meth. Viel höhere Gewinne mit Kokain lassen sich inzwischen in Europa machen. Und darauf spekulieren natürlich zum einen die kriminellen Organisationen hierzulande, zum anderen aber auch die mittel- und südamerikanischen Drogenkartelle.
Neben Rotterdam gilt auch Antwerpen als grösster Einfuhrhafen von Kokain in Europa. Weshalb gerade diese zwei Häfen?
Zum einen sind sie natürlich wahnsinnig gross. Man kann dort gut illegale Ware verstecken. Sie haben eine direkte Schifffahrtsverbindung zu Süd- und Mittelamerika; auch das macht es praktisch. Es gibt aber noch einen Grund, den man nicht unterschätzen darf: Ganz kompliziert im illegalen Kokainhandel ist es, das Kokain aus dem Hafen wieder herauszuholen.
Man kann den Ansprechpartnern in den Häfen sagen: Du holst morgen die Drogen aus dem Container raus.
Das ist eine Aufgabe, an der viele Banden scheitern. In Antwerpen und Rotterdam ist in den letzten Jahren eine perfekte kriminelle Infrastruktur entstanden, Banden haben teilweise ganze Hafenbetreibergesellschaften korrumpiert, um den Hafen herum ist eine Logistik entstanden. Man hat Ansprechpartner in den Häfen, denen man sagen kann: Du holst morgen die Drogen aus dem Container raus. Das sind wichtige Dienstleistungen, die sich da leichter umsetzen lassen.
Wie wird das Kokain von den Banden in den Containern versteckt?
Der Kokainhandel ist eine perfekt eingespielte illegale Logistik. Wir haben zum einen die Kokainkartelle. Da fliegt zum Beispiel jemand von der italienischen N'drangheta hin, verhandelt den Preis und die Menge, und es wird eingeschlagen. Dann geht das Kokain beispielsweise von Cali aus nach Ecuador, wird dort in Kilogebinde verpackt, in sogenannte Kokainbarren. Die bekommen einen Stempel vom Kartell und vielleicht auch eine Markierung für den Empfänger und gelangen dann in der Regel in Container mit Legalware. Wenn da also ein Container voll mit Ananas steht, wird das Kokain nachts mithilfe geschmierter Hafenarbeiter drunter gemischt oder einfach in einem Rucksack reingestellt.
Alles, was man sich vorstellen kann, wird ausgeschöpft, um diese Drogen nach Europa zu bringen.
Wir haben schon gesehen, dass Kokain in die Containerwände eingeschweisst wird oder in die Lüftungsanlagen eingebracht wird. Es wird also alles an Mitteln und Wegen ausgeschöpft, um diese Drogen nach Europa zu bringen.
Zürich liegt laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen an zweiter Stelle beim Kokainkonsum. Wie kommt es bis nach Zürich?
Da gibt es in der Regel zwei Wege. Es kann sein, dass Banden, die in Zürich operieren, selbst Kokain einkaufen in Südamerika. Das setzt einen hohen Organisationsgrad voraus. Nicht jeder kann mit solchen Kartellen verhandeln. Da fängt man sich auch schnell mal eine Kugel ein.
Nicht jeder kann mit südamerikanischen Kokainkartellen verhandeln. Da fängt man sich auch schnell mal eine Kugel ein.
Der zweite Weg ist, dass einzelne, kleinere Gruppen, die weniger stark organisiert sind, nach Rotterdam gehen und über Kontakte auf dem Grossmarkt kiloweise Kokain kaufen, das in Zürich weiterverkauft wird.
Das Gespräch führte Zoe Geissler.