Die Gewaltspirale zwischen Armenien und Aserbaidschan dreht sich weiter. Im Konflikt um die Region Berg-Karabach dürften seit dem Aufflammen der jüngsten Kämpfe am vergangenen Wochenende bereits etwa hundert Menschen ums Leben gekommen sein. Die Lage ist unübersichtlich.
Internationaler Stellvertreterkrieg droht
Armenien und Aserbaidschan, zwei ehemalige Sowjetrepubliken, stehen sich unversöhnlich gegenüber. Immer wieder kam es in den vergangenen Jahrzehnten zu Kämpfen. Doch jetzt droht sich der regionale Konflikt zum internationalen Stellvertreterkrieg auszuweiten – zwischen der Türkei und Russland.
Die Region Berg-Karabach wird mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnt, liegt aber im islamisch geprägten Aserbaidschan. Weniger als 150'000 Einwohner leben auf einer Fläche kleiner als jene des Kantons Wallis. Seit dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg von 1992 bis 1994 wird die selbsternannte Republik Berg-Karabach von Armeniern kontrolliert. Doch kein einziges Land der Welt anerkennt die Unabhängigkeit Berg-Karabachs. Zahllose Schlichtungsversuche sind fehlgeschlagen.
Keine Kompromissbereitschaft erkennbar
Zumal in den beiden verfeindeten Ländern keinerlei Kompromissbereitschaft zu erkennen ist. Das gilt für den autoritär herrschenden Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Aliyev, ebenso wie für den demokratisch gewählten Premierminister Armeniens, Nikol Paschinjan. Beide können mit ihrer harten Haltung in der Berg-Karabach-Frage auf die Unterstützung ihrer Bevölkerung zählen.
Ähnlich wie die Konflikte in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken – etwa in der Ukraine oder in Georgien – geht auch jener zwischen Armenien und Aserbaidschan auf den Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 zurück. Gebietsstreitigkeiten, die unter dem Deckel der Sowjetunion gehalten worden waren, sind neu entbrannt. Anders als in der Ukraine oder in Georgien hielt sich die Einflussnahme von aussen im armenisch-aserbaidschanischen Konflikt jedoch bisher in Grenzen.
Türkei und Russland als Schutzmächte
Das christliche Armenien sieht in Russland zwar seine Schutzmacht, militärisch und wirtschaftlich sind die beiden Länder eng verflochten. Russland unterhält aber auch gute Beziehungen zu Aserbaidschan. Der russische Präsident Wladimir Putin gab sich bisher gerne als neutraler Vermittler.
Doch im türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat Aserbaidschan nun einen mächtigen Verbündeten gefunden. Erdogan hat sich öffentlich ohne Wenn und Aber auf die Seite des islamischen Bruderstaats gestellt. Armenien bezichtigt die Türkei bereits der militärischen Intervention. Aserbaidschan wirft den Vorwurf zurück.
Die Einmischung der Türkei weckt in Armenien Erinnerungen an den türkischen Völkermord an hunderttausenden Armeniern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Völkermord, den die Türkei bis heute leugnet.
Stellvertreterkrieg mit hohen Risiken
Vor diesem historischen Hintergrund droht nun auch der Konflikt um Berg-Karabach zum blutigen Stellvertreterkrieg zwischen den beiden geopolitischen Rivalen Russland und Türkei zu werden – ähnlich wie in Syrien oder Libyen.
Ein Stellvertreterkrieg, der freilich für alle Beteiligten mit hohen Risiken verbunden wäre. Durch Aserbaidschan verlaufen, nahe der Grenze zu Armenien, bedeutende Erdöl- und Erdgasleitungen, die sowohl die Türkei als auch Russland mit Energie versorgen.
An einer Krisensitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in New York soll die Berg-Karabach-Frage nun erörtert werden. Es ist zu hoffen, dass die vielschichtigen, auch wirtschaftlichen Interessen einer weiteren Eskalation im Wege stehen. Doch selbst wenn es den Diplomaten gelingen sollte, eine Waffenruhe zu vermitteln – ein dauerhafter Friede, eine Lösung des Berg-Karabachs-Konflikt ist nicht in Sicht.