Vor einer Woche hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bekanntgegeben, dass er ein weiteres Erdgas-Forschungsschiff ins Mittelmeer schicken will. Heute nun soll das Schiff namens Abdülhamid Han losfahren. Die Journalistin Rodothea Seralidou erklärt, was es damit auf sich hat und warum dies eine internationale Krise hervorrufen könnte.
SRF News: Ist nun bekannt, wo das türkische Gasbohrschiff zum Einsatz kommen soll?
Rodothea Seralidou: Der türkische Staatspräsident Erdogan soll diese Angaben heute preisgeben. Am Montag sagte er, das Schiff werde in Regionen fahren, die in türkischer Zuständigkeit liegen. Damit meint er wohl Zonen, die nach Auffassung der Türkei zur türkischen Ausschliesslichen Wirtschaftszone (AWZ) gehören.
Die Türkei ist der Auffassung, dass ihr weitaus grössere Meereszonen zustehen, als etwa Griechenland ihr einräumt.
Gegenüber von Mersin, dem Ausgangshafen des Bohrschiffes, liegt Zypern. Das Schiff könnte also Richtung Zypern fahren oder sich Richtung Südwesten bewegen. Ein anderes Szenario wäre die Suche nach Erdgas südlich der griechischen Insel Kastelorizo, wie vor zwei Jahren.
Damals handelte es sich um Forschungen. Nun will die Türkei das Erdgas an die Oberfläche bringen. Das Hauptproblem ist: Es ist nach wie vor nicht klar, welches der Länder in den betreffenden Meereszonen nach Bodenschätzen suchen darf. Jedes Land beansprucht die Zonen für sich.
Wie rechtfertigt die Türkei diesen Einsatz im östlichen Mittelmeer?
Sie ist der Meinung, dass ihr weitaus grössere Meereszonen zustehen als etwa Griechenland ihr einräumt. Vor der türkischen Küste liegen griechische Inseln. Laut internationalem Seerecht haben sie alle Meereszonen, die ein Küstenstaat hat: ein Küstenmeer, einen Anspruch auf einen Festlandsockel und eine AWZ. Es handelt sich dabei um Gewässer, in denen der Küstenstaat bestimmte Rechte hat, etwa das Recht auf Fischerei und Ausbeutung der Bodenschätze.
Die Türkei vertritt aber die Auffassung, dass die griechischen Inseln keinen Anspruch auf diese Zonen haben. Diese Meinung hat die Türkei auch gegenüber der Republik Zypern.
Griechenland ist der Meinung, dass Inseln wie Lesbos, Kos oder Rhodos zu Griechenland gehören, könne nicht infrage gestellt werden.
Seit knapp einem Jahr geht die Türkei noch einen Schritt weiter und stellt auch die Souveränität griechischer Inseln in Frage, die in der Nähe der Küste liegen. Das sind Inseln wie Lesbos, Kos oder auch die Inseln der Dodekanes-Inselgruppe. Die grösste von ihnen ist die Insel Rhodos. Die Türkei begründet ihre Haltung dadurch, dass Griechenland diese Inseln durch internationale Verträge bekommen hat, wie etwa das Lausanner Abkommen von 1923 oder auch den Pariser Friedensvertrag von 1947 und dass dort von einer Entmilitarisierung der Inseln die Rede sei. Die türkische Argumentation: Solange Griechenland sich nicht daran halte und es Militär auf den Inseln gebe, müsse man über die Souveränität sprechen.
Damit kann Griechenland kaum einverstanden sein?
Griechenland sieht diese Argumentation als eine Steigerung der türkischen Provokationen und sagt, dass Inseln wie Lesbos, Kos oder Rhodos zu Griechenland gehören, könne nicht infrage gestellt werden. Dass kein Militär auf den Inseln stationiert sein soll, sei keine Voraussetzung gewesen, um Griechenland die Inseln zuzusprechen. Es seien höchstens Auflagen gewesen, die aber die Türkei nicht einfordern könne. Gerade unter den gegebenen Umständen habe auch Griechenland das Recht auf Selbstverteidigung. Ohne Militär wären die Inseln der Türkei und einer möglichen Invasion schutzlos ausgesetzt.
Das Gespräch führte Raphaël Günther.