Die Verhandlungen in verschiedenen Formaten und Zusammensetzungen haben bislang keine Entspannung der Lage gebracht: Weiterhin stehen russische Soldaten waffenstarrend vor der ukrainischen Grenze. Rhetorisch rüstete der Westen bereits auf: Sollten Putins Panzer über die ukrainische Grenze rollen, werde es so harte Strafe wie nie zuvor für den Kreml geben.
So weit, so vage. Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ist ausgewiesener Kenner der wirtschaftlichen Entwicklung Russlands – und kann abschätzen, welche Wirkung westliche Sanktionen entfalten könnten.
Die Gasspeicher in der EU sind aktuell sehr wenig gefüllt. Das ist eine zusätzliche Dimension in der aktuellen Krise, die es für die EU noch viel schwieriger macht, sich zu Sanktionen im Energiesektor durchzudringen.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Eskalationsstufen von Sanktionen. Denkbar wäre für Kluge, dass Einzelpersonen ins Visier genommen werden. Eine andere Möglichkeit wäre, Unternehmen oder einzelne Branchen zu sanktionieren. Schliesslich gibt es Sanktionsmöglichkeiten, die das ganze Land sehr hart treffen würden.
«Die härtesten Sanktionen wären diejenigen, die Russland ein Stück weit vom internationalen Handel abschneiden würden», so der Ökonom und Osteuropa-Experte. Finanzsanktionen könnten das russische Bankensystem empfindlich treffen.
Diskutiert wurde zuletzt etwa, dass russische Staatsanleihen nicht mehr für den Handel an westlichen Kapitalmärken zugelassen werden könnten. Das würde Russlands Möglichkeiten stark einschränken, sich im Westen zu finanzieren.
Russland ist wirtschaftlich keine Grossmacht
Mit drastischen Sanktionen könnte sich die EU aber auch ins eigene Fleisch schneiden. Denn Sanktionen sind immer ein zweischneidiges Schwert. Aber: «Meistens ist die Wirkung für die wirtschaftlich grössere Seite weniger intensiv», so Kluge. Und Russland ist wirtschaftlich – ganz im Gegensatz zur EU – keine Grossmacht.
Dazu kommt: Schwingt die EU die Sanktionskeule, dürfte sich der Schaden auf sehr viele Schultern verteilen, erklärt Kluge.
Russlands Lebensader im Visier
Insbesondere aus den USA ist zu vernehmen, dass der russische Energiesektor ins Visier genommen werden könnte – und damit die Lebensader des Kremls. «Hier geht es vor allem um die Gaspipeline Nord Stream 2, aber auch allgemein um die russischen Möglichkeiten, Erdöl und Erdgas in die EU zu exportieren», so Kluge.
Allerdings: Die Möglichkeiten, die russischen Energieexporte zu kappen, sind begrenzt. Zwar liessen sich russische Erdöllieferungen durchaus mit Schiffslieferungen aus anderen Staaten wie den USA ersetzen, so der deutsche Ökonom.
Europa ist aber von russischen Gaslieferungen abhängig, für die es vorderhand keine Alternative gibt. «Die Gasspeicher in der EU sind aktuell sehr wenig gefüllt. Das ist eine zusätzliche Dimension in der aktuellen Krise, die es für die EU noch viel schwieriger macht, sich zu Sanktionen in Energiesektor durchzudringen.»
Eine Milchmädchen-Rechnung sind Sanktionen also nicht. Denn Russland kann seinerseits Gegensanktionen ergreifen – und hier Europas Abhängigkeit von seinen Gaslieferungen ausnutzen. Nicht zuletzt dürfte ein massives westliches Sanktionsregime, das auch von der EU getragen wird, die Beziehungen zwischen den europäischen Hauptstädten und Moskau nachhaltig beschädigen.
Für Kluge ist denn auch fraglich, ob innerhalb des Westens überhaupt ein Konsens besteht, welche Sanktionen im Falle einer russischen Invasion in der Ukraine ergriffen werden sollen. «Meiner Wahrnehmung nach gibt es hier grosse Differenzen und viel Verhandlungsbedarf.»