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Konfliktindex 2024 Immer mehr und intensivere Konflikte auf der ganzen Welt

Die globalen Konflikte haben sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt, wie neue Zahlen zeigen. Die Nichtregierungsorganisation ACLED (Armed Conflict Location and Event Data Project) sammelt Daten über gewaltsame Konflikte und wertet sie aus. ETH-Konfliktforscher Andreas Juon schätzt die Zahlen ein.

Andreas Juon

Konfliktforscher, ETH

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Andreas Juon ist Konfliktforscher an der ETH Zürich.

SRF News: Laut den neusten ACLED-Zahlen ist Palästina im Jahr 2024 der gefährlichste und gewalttätigste Ort der Welt. Kommen Sie zum selben Schluss?

Andreas Juon: Der ACLED-Index bildet vor allem ab, wie stark ein Land betroffen ist. Aber es ist nicht so einfach, mit diesem Index die absolute Wichtigkeit eines Konflikts abzubilden. Zum Beispiel kann es sein, dass die absoluten Todeszahlen in anderen Konflikten viel höher sind, diese Konflikte aber im ACLED-Index viel tiefer gewichtet werden.

Das ist der ACLED-Index

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Laut Juon handelt es sich um einen Konfliktindex , der die Konfliktintensität misst und auf mehreren Indikatoren basiert. Todeszahlen etwa, die auch in anderen Indizes wichtig seien, würden mit anderen Indikatoren kombiniert. Zum Beispiel die Gefahr für die Zivilbevölkerung, die geografische Verbreitung der Gewalt oder die Anzahl bewaffneter Gruppen, die in einem Jahr aktiv sind. All diese Faktoren würden in einen Index zusammengenommen, der versucht, die Intensität eines Konflikts für jedes Land, in jedem Jahr zu messen.

Doch wir sehen auch mit anderen Daten, die die absoluten Todeszahlen anschauen, eine massive Zunahme an zwischenstaatlichen Kriegen und Bürgerkriegen.

ACLED geht für das Jahr 2025 von einer Zunahme der Konflikte um 15 Prozent aus. Teilen Sie diese Prognose?

Wir sind vorsichtig mit Vorhersagen. Unsere Forschung bezieht sich eher auf die Gründe von Konflikten, die wir systematisch mit Daten zu bereits vergangenen oder noch laufenden Konflikten in vergangenen Jahren erforschen.

Die USA sind heute nicht mehr so willig oder fähig, die Rolle einer Weltpolizei zu spielen.

Generell ist die Entwicklung in den letzten zehn Jahren relativ konstant: Wir sehen eine konstante Steigerung der Anzahl Konflikte weltweit. Wir sehen auch eine Zunahme der Intensität dieser Konflikte – gemessen an den Opferzahlen. Und wir würden sicher annehmen, dass es im nächsten Jahr nicht zu einer drastischen Reduktion kommt.

Sie kommen in Ihrer Forschung zum Schluss, dass die globalen Konflikte nicht erst in den letzten Jahren, sondern schon seit 2010 zunehmen würden. Was hat 2010 zu diesem Bruch geführt?

Langfristig sehen wir eine Zunahme von massiven Risikofaktoren sowohl für Bürgerkriege als auch für zwischenstaatliche Konflikte. Hier ist zum einen die geopolitische Veränderung zu nennen. Die USA sind heute im Gegensatz zu früher nicht mehr so willig oder fähig, die Rolle einer Weltpolizei zu spielen und zu vermitteln oder gar den Frieden zu erzwingen, wie es etwa auf dem Balkan geschehen ist. Zum anderen sehen wir eine Zunahme von aggressivem Nationalismus in Regierungen, was interne Konflikte mit ausgeschlossenen Minderheiten wahrscheinlich macht und auch zwischenstaatliche Konflikte befeuert. Schliesslich sehen wir eine generelle Abnahme liberaler demokratischer Institutionen.

Aggressiver Nationalismus in den Regierungen macht auch zwischenstaatliche Kriege wahrscheinlicher.

Welchen Einfluss haben nationalistische Regierungen auf die Konflikte?

Erstens machen nationalistische Regierungen interne Bürgerkriege wahrscheinlicher, indem sie das Risiko erhöhen, dass ethnische Minderheiten politisch ausgeschlossen sind. Das ist einer der ganz grossen Risikofaktoren für Bürgerkriege. Wir sehen, dass ausgeschlossene Minderheiten weniger Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung haben, und das ist gerade bei kulturell unterschiedlichen Minderheiten relevant. Aber sie werden auch oft ökonomisch benachteiligt und zum Teil diskriminiert. Diese Unzufriedenheit macht es für eine Rebellengruppe leichter, die Bevölkerung zu mobilisieren.

Zweitens sehen wir, dass solch aggressiver Nationalismus in den Regierungen auch zwischenstaatliche Kriege und die internationale Einmischung in laufende Konflikte wahrscheinlicher macht.

Das Gespräch führte Oliver Kerrison.

Heute Morgen, 13.12.2024, 06:00 Uhr ; 

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