Es sei bloss eine Übung, beschwichtigt das Hauptquartier, doch das Zeichen ist deutlich: Soldaten der Kosovo Force (KFOR) haben am Samstagmorgen die Gazivode-Staumauer in Nord-Kosovo abgeriegelt. Das Kraftwerk versorgt Nord-Kosovo mit Strom und Wasser – inklusive der umstrittenen Mine von Trepça.
Obschon sich Kosovo vor zehn Jahren von Serbien unabhängig erklärt hat, kontrolliert Belgrad de facto nach wie vor die Gebiete nördlich des Flusses Ibar, also auch den Gazivode-Stausee. Ein Schlüsselgelände – und eines der heissesten Eisen in den Normalisierungsverhandlungen zwischen Serbien und Kosovo.
Handstreich der kosovarischen Armee?
In den vergangenen Tagen gab es Gerüchte, die Regierung in Pristina könnte in einem Handstreich die Staumauer in Besitz nehmen. Die von den USA stark unterstützte, aber noch immer inoffizielle Kosovo-Armee scheint laut Insidern auch tatsächlich in hoher Alarmbereitschaft zu sein. Eine «drôle de situation»: Hochspannung im Norden von Kosovo, gleichzeitig Ferienstimmung mit Hochzeiten und Filmfestivals im Süden.
Der Hintergrund sind die Normalisierungsverhandlungen zwischen Belgrad und Pristina unter EU-Schirmherrschaft. Bis heute hätte Kosovo einen serbischen Gemeindeverband umsetzen sollen: Eine föderale Idee der Europäer, um Gebieten mit serbischer Bevölkerungsmehrheit maximale Autonomie zu gewähren.
Staat im Staat?
Doch diese «Zajednica» ist höchst umstritten: Was auf den ersten Blick aussieht wie die Verfassungsrechte der Bern-Jurassier, birgt im Fall von Kosovo die Gefahr eines Staates im Staate. Zudem könnte Belgrad in wichtigen Fragen mitreden. Für die Kosovo-Albaner, 90 Prozent der Bevölkerung, ist das so nicht akzeptabel.
Die Regierung in Pristina hat deshalb die "Zajednica" bisher nicht umgesetzt – und provoziert damit die Kosovo-Serben. Deren Vertreter haben in den vergangenen Tagen gedroht, heute einseitig die Autonomie ihrer Gebiete zu erklären: eine «Republika Srpska» wie in Bosnien. Das ist brandgefährlich für die ganze Region. Immer lauter werden Stimmen, die Gebietsaustausche entlang ethnischer Grenzen fordern.
Geschenk für Putin?
Ramush Haradinaj, kosovarischer Ministerpräsident ohne sichere Mehrheit im Parlament, hat gedroht, eine solche Autonomie werde nicht unbeantwortet bleiben. Gleichzeitig warnte er vor einer Teilung Kosovos: «Nur ein Mann profitiert von Grenzveränderungen auf dem Balkan, und das ist Wladimir Putin.»
Dank einem guten Draht zu Moskau hat der serbische Präsident Aleksandar Vučić bessere Karten als die Regierung in Pristina. Die EU unterstützt ihn nach dem Motto: Stabilität ist wichtiger als demokratische Werte. So balanciert Vučić zwischen Westen und Russland, harter Haltung und Friedensappellen.
In einem Brief hat der serbische Präsident seine «Mitbürger in Kosovo» aufgefordert, ruhig zu bleiben: «Liebe Serben, bitte unternehmt nichts, was einzelne Albaner oder ein Teil der internationalen Gemeinschaft als Entschuldigung für Aktionen gegen euch nutzen könnten.» Der Sturm dürfte vorerst also wieder abgesagt sein.
Kalter Frieden für Kosovo?
Doch es ist offensichtlich, dass die starken Männer in Belgrad und Pristina zunehmend an der Eskalationsschraube drehen: Kalkuliert, um immer gerade rechtzeitig zur Vernunft zu kommen. Diesmal hat die KFOR die Grenzen dieses Spiels aufgezeigt: Mit sogenannt «dissuasiver Präsenz» ihrer Truppen im Norden und der Kontrolle über den Gazivode-Stausee.
Diesen Herbst wird die finale Phase der Brüsseler Normalisierungsverhandlungen erwartet. Dies dürfte die Motivation hinter den Kraftmeiereien in Belgrad und Pristina sein. Denn es geht um Macht, nicht um einen ethnischen Konflikt. Trotz Trump in Washington und Putin in Moskau hofft die EU, irgendwie doch noch einen kalten Frieden für Kosovo zu vermitteln. Doch noch ist sie auf die militärische Präsenz der KFOR angewiesen.
Sendebezug: SRF 4 News, 12.00 Uhr