In mehreren Städten Spaniens sind auch am Wochenende wieder Tausende meist junge Menschen auf die Strasse gegangen. In Barcelona kam es zu schweren Ausschreitungen. Der Protest, der vor zwei Wochen nach der Verhaftung des Rappers Pablo Hasél begann, richte sich inzwischen grundsätzlich gegen den Staat, sagt die Journalistin Julia Macher.
SRF News: Bei den Protesten am Wochenende kam es teils zu Krawallen, Ausschreitungen, Plünderungen und zu Verhaftungen. Was war da los?
Julia Macher: Allein hier in Barcelona zogen am Samstagabend rund 4000 Menschen durch die Stadt – zunächst friedlich. Doch bei den Ramblas kippte die Stimmung: Scheiben von Bankfilialen wurden zertrümmert und Feuer gelegt, das Foyer eines Hotels zerstört, ein Bekleidungsgeschäft geplündert.
Ein Mannschaftswagen wurde mit brennenden Flüssigkeiten überschüttet, als noch ein Polizist drin sass.
Vor dem dortigen Polizeiposten wurde ein Mannschaftswagen mit brennenden Flüssigkeiten überschüttet, als noch ein Polizist drin sass. Eine solche Eskalation hat man bei den bisherigen – zum Teil auch gewalttätigen – Protesten noch nicht gesehen.
Ursprünglicher Auslöser für die Proteste war die Verhaftung des Rappers Pablo Hasél Mitte Februar. Ist das nach wie vor der Hauptgrund für die Proteste – oder steckt jetzt mehr dahinter?
Inzwischen geht es viel mehr um Frust und Wut aufs System aus Politik und Wirtschaft. Viele der Demo-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer in Barcelona stehen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung nahe, andere kommen aus dem links-anarchistischen Spektrum. Laut Polizei haben sich auch Krawalltouristen unter die Demonstrierenden gemischt.
Auch Krawalltouristen haben sich unter die Demonstranten gemischt.
Hasél selber kann aber nach wie vor auf einen starken Kreis aus Unterstützern zählen. Er hat sich aus dem Gefängnis mehrfach an die Demonstranten gewandt und in einem Gedicht seiner Freude über das Feuer auf den Strassen Ausdruck verliehen sowie zu weiteren Protesten aufgerufen. Die mit Haséls Verhaftung angestossene Debatte über Meinungsfreiheit in Spanien geht jedoch jenseits der Strassenproteste weiter, die Regierung hat eine Strafrechtsreform angekündigt.
Was genau treibt die meist jungen Protestierenden auf die Strasse?
Viele von ihnen sind frustriert ob der fehlenden Zukunftsaussichten. Spanien verzeichnet mit 40 Prozent die höchste Jugendarbeitslosigkeit in der EU, junge Menschen leiden unter der Coronakrise besonders, weil ihre Jobs als erste weggebrochen sind. Hinzu kommt der Frust über die monatelangen Einschränkungen. Diese explosive Gemengenlage macht sich ein harter Kern von zum Teil polizeibekannten Krawallmachern zunutze.
Könnten die Krawalle in Katalonien auch politische Konsequenzen haben?
Die künftige Regionalregierung muss sich klar werden, wie sie mit solchen Ausschreitungen umgehen wird. Das wird ihr nicht leicht fallen. Die Regierungen haben Strassenproteste in ihrem Kampf für eine katalanische Unabhängigkeit immer wieder als Druckmittel gegenüber Madrid eingesetzt. Jetzt wendet sich der Frust der jungen Leute auch gegen die Regionalpolitiker, weil sie ihre Unabhängigkeitsversprechen nicht gehalten haben.
Der Frust der jungen Leute wendet sich jetzt auch gegen katalanische Regionalpolitiker.
Was ist nötig, damit sich die Situation wieder beruhigt?
Es gibt kaum konkrete Forderungen – ausser jener, Pablo Hasél sofort freizulassen. Hinter den Mobilisierungen steht auch kein Kollektiv, mit dem man das Gespräch suchen könnte. Das macht den politischen Umgang mit dieser Unmutsbewegung sehr schwierig. Schon fürs nächste Wochenende sind weitere Proteste angekündigt.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.