Wann kommt der Gegenangriff gegen Israel und wie? Diese Frage stellt sich, nachdem in den vergangenen Tagen Hisbollah-Militärchef Fuad Schukr und Hamas-Auslandchef Ismail Hanija getötet wurden. Am Wochenende verdichteten sich die Anzeichen, dass ein Vergeltungsschlag kurz bevorstehen könnte. Der diplomatische Korrespondent von SRF, Fredy Gsteiger, schätzt ein.
Wie wahrscheinlich ist ein baldiger Angriff Irans auf Israel?
Zumindest halten viele Nachrichtendienste, Beobachter und auch Medien das Risiko für sehr hoch, dass in den nächsten 24 oder 48 Stunden ein solcher Angriff stattfinden könnte. Aussenpolitisch könnte Iran auf eine massive Reaktion verzichten, denn der Mord an Hamas-Chef Ismail Hanija ändert im Nahen Osten militärisch wenig. Das iranische Netzwerk aus den verbündeten Milizen Hisbollah, Hamas, die Huthis in Jemen, Milizen in Syrien und in Irak ist nach wie vor intakt und stark. Innenpolitisch war die Ermordung eines Staatsgastes ein Gesichtsverlust. Auf eine massive Reaktion deuten viele Äusserungen aus Teheran vom Wochenende hin.
Womit ist beim jetzt erwarteten Angriff zu rechnen?
Nachdem Iran Israel bereits im April mit Raketen und Drohnen angegriffen hat, ist weitgehend unklar, womit jetzt zu rechnen ist. Eine Möglichkeit ist ein ähnliches Vorgehen wie im April, als Teheran einen Tabubruch beging, mit direkten Angriffen aus der Luft auf Israel. Es gäbe aber auch die Option massiver Raketenangriffe durch die Hisbollah gegen Israel. Israel könnte kurzfristig überfordert sein, alle diese Raketen abzuwehren. Und es gäbe auch die Möglichkeit von Kommando-Aktionen auf hochrangige Israelis irgendwo auf der Welt oder gegen israelische Einrichtungen.
Welche Rolle spielen Israels Nachbarstaaten?
Zwei Nachbarstaaten Israels – Libanon und Syrien – sind weitgehend von Iran abhängig. In Libanon herrscht de facto die Hisbollah, die Iran nahesteht. Die meisten arabischen Länder, allen voran Jordanien, haben aber Angst vor einer Ausweitung des Konflikts und möchten ihn unbedingt vermeiden. Das äussert sich auch darin, dass am Wochenende der jordanische Aussenminister Aiman al-Safadiin zu einem Beschwichtigungsbesuch in Teheran war und auch arabische Diplomaten vorstellig wurden. Sie erhielten allerdings keinerlei Signal, dass Iran auf eine scharfe Reaktion zu verzichten bereit wäre.
Welche Rolle spielen die USA bei der Abwehr eines Gegenschlags?
Einerseits sichern die USA Israel massive Unterstützung im Fall eines iranischen Angriffs zu, also bei der Abwehr von Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern. Sie treffen auch entsprechende Vorkehrungen. Andererseits rufen sie Iran zur Mässigung auf. Die USA versuchen aber gleichzeitig auch, Israel von einer Eskalation abzubringen. Ein Gespräch zwischen US-Präsident Biden und Netanjahu vergangene Woche soll offenbar sehr ruppig verlaufen sein.
Wie gross ist die Gefahr einer Eskalation zur Stunde?
Es brennt schon jetzt an vielen Ecken im Nahen Osten. In Gaza, im Norden Israels, im Süden Libanons. Aber auch im Roten Meer mit den Angriffen der jemenitischen Huthis auf Schiffe und neu auch deren direkten Angriffen auf Israel. Die Lage ist extrem labil. Oft ist es gar keine bewusste Entscheidung, einen offenen, grossen Krieg zu beginnen. Das läge wohl auch nicht im Interesse Irans. Es sind häufig in solchen Situationen Fehlkalkulationen, Unnachgiebigkeit und Provokationen, die einen Krieg auslösen.