In Butscha, 25 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Kiew, bietet sich nach dem Rückzug der russischen Armee ein Bild des Grauens. Auf einer Strasse der Kleinstadt mit einst 27'000 Einwohnern sind alle paar Meter leblose Körper zu sehen. Ein Geländewagen mit ukrainischen Soldaten muss ständig ausweichen, wie Videos zeigen.
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko spricht von «Völkermord». Es sind verstörende Aufnahmen aus der Kiewer Vorstadt, die seit Beginn des Kriegs vor jetzt schon mehr als fünf Wochen heftig umkämpft war. Ein Berater von Präsident Wolodimir Selenski, Mychajlo Podoljak, verbreitet auf Twitter Bilder von erschossenen Männern. Einem von ihnen sind die Hände auf dem Rücken gefesselt.
«Die Hölle des 21. Jahrhunderts», schreibt Podoljak dazu. In einem Massengrab werden etwa 280 Menschen beigesetzt, die in Butscha zu Hause waren und wegen der Kämpfe bislang nicht beerdigt werden konnten. Die drei Friedhöfe der Kleinstadt reichen nicht aus.
Der Rückzug der Russen offenbarte die Schäden
Erst kurz vor Bekanntwerden des Massakers hatte die Ukraine bekannt gegeben, im Gebiet um die Hauptstadt Kiew mehr als 30 Dörfer zurückerobert zu haben. Die Behörden im Nordosten der ehemaligen Sowjetrepublik berichten, dass sich russische Soldaten ins eigene Land zurückzögen. Der britische Geheimdienst bestätigt das.
Die russische Militärführung hatte vor einigen Tagen selbst erklärt, ihre Angriffe auf den Osten und Süden des Nachbarlands konzentrieren zu wollen. Anderswo sieht man nun, was in den letzten fünf Wochen passiert ist. Das Filmmaterial aus Butscha, das nach dem Abzug öffentlich wird, zeigt das ganze Ausmass der Zerstörung.
An vielen Wohnhäusern fehlen die Dächer. Zu sehen sind auch Reste von Raketen. Auch aus anderen Orten und Kleinstädten, aus denen die Russen abgezogen sind, gibt es Bilder mit schwerer Zerstörung. Das Entsetzen ist gross, weit über die Grenzen der Ukraine hinaus.
Vorwurf des Völkermords und Kriegsverbrechen
«Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen», sagt Bürgermeister Klitschko der deutschen Zeitung «Bild». In Berlin macht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Moskau direkt für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich. «Die Bilder aus Butscha erschüttern mich», so der frühere Aussenminister.
Die EU will ihre Sanktionen jetzt nochmals verschärfen und später die Verantwortlichen für das Massaker auch vor Gericht bringen. Auch die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock äusserte sich entsprechend auf Twitter.
Der Kreml äusserte sich nicht zu den Vorwürfen. Doch die russische Opposition sieht die Verantwortung ebenfalls bei Präsident Wladimir Putin. «So sieht die von Putin arrangierte ‹Verteidigung der russischen Welt› aus», meint eine Sprecherin des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny.
Hinrichtungen und Plünderungen
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft der russischen Armee Kriegsverbrechen wie Hinrichtungen und Plünderungen vor. Sie veröffentlicht am Sonntag einen Bericht über regelrechte Hinrichtungen, der sich auf die Schilderung von Augenzeugen stützt.
Dazu gehört auch die Erschiessung eines Mannes am 4. März in Butscha, noch in den ersten Tagen des Kriegs. Ein Zeuge berichtete, dass fünf Männer von Soldaten gezwungen worden seien, am Strassenrand niederzuknien. Dann hätten die Russen ihnen die T-Shirts über den Kopf gezogen und einem von ihnen von hinten in den Kopf geschossen.