Am Wochenende stürzte über dem Schwarzen Meer wegen der russischen Luftwaffe beinahe ein Flugzeug der EU-Grenzschutzbehörde Frontex ab. Es ist der neueste in einer ganzen Reihe von Vorfällen. Seit Russland weite Teile der ukrainischen Schwarzmeerküste erobert hat und eine Rückeroberung durch die Ukraine wenig wahrscheinlich scheint, betrachtet Russland das Schwarze Meer praktisch als «sein» Binnenmeer – obschon es auch Nato-Anrainerstaaten gibt. Fredy Gsteiger kennt die Hintergründe.
SRF News: Ist Russland im Gebiet des Schwarzen Meers militärisch am längeren Hebel?
Fredy Gsteiger: Ganz klar, die Ukraine ist überhaupt keine Seemacht. Russland hingegen als Seemacht besitzt in der Ostsee, im Nordatlantik, im Pazifik und im Schwarzen Meer grosse Flotten und Marinehäfen. Der Ukraine gelang es zu Beginn des Krieges, einzelne Schiffe der russischen Schwarzmeerflotte zu beschädigen. Russland aber ist ungleich stärker, die ukrainische Schwarzmeerflotte besteht im Wesentlichen aus vereinzelten Patrouillenbooten, aus Küstenwachschiffen.
Die Ukraine ist zunehmend vom Schwarzen Meer abgeriegelt.
Wie stark ist die Nato präsent?
Drei Nato-Länder sind Anrainerstaaten: die Türkei, Rumänien und Bulgarien. Die grösste Flotte der drei Länder hat die Türkei mit 16 Fregatten und etwa 10 Korvetten. Nato-Länder mit einer bedeutenden Kriegsmarine wie die USA, Grossbritannien, Frankreich oder Italien sind weiter weg stationiert. Während des Krieges entsprechende Schiffe näher beim Schwarzen Meer zu positionieren, ist äusserst schwierig.
Die Türkei hat in der Region eine Schlüsselrolle, kontrolliert die Dardanellen und damit auch, wer ins Schwarze Meer hineinfahren darf. Versucht sich die Türkei, weiterhin herauszuhalten?
Das Land versucht, eine Vermittlerrolle einzunehmen. Sie tut dies, indem sie das Montreux-Abkommen von 1936 anwendet. Konkret bedeutet dies, dass Russland keine weiteren Kriegsschiffe, beispielsweise seiner Pazifikflotte oder der Ostseeflotte, ins Schwarze Meer bringen kann. Auf der anderen Seite bedeutet es aber auch, dass die Nato ebenfalls keine weiteren Kriegsschiffe in die Gegend verschiffen kann. Diese Tatsache zementiert die aktuelle russische Überlegenheit.
Das Minimalziel der angekündigten ukrainischen Frühjahrsoffensive ist es, Teile der ukrainischen Küste zurückzuerobern. Ob dies gelingt, darüber zeigen sich viele Beobachter skeptisch.
Welche Folgen hat die Ausgangslage für die Ukraine?
Die Ukraine ist zunehmend vom Schwarzen Meer abgeriegelt. Dieser Prozess hat bereits vor dem russischen Überfall im Februar 2022 begonnen, nämlich im Asowschen Meer, wo Russland der Ukraine bereits früher Schwierigkeiten bereitet hat, die dortigen Häfen anzulaufen. Für ein Land wie die Ukraine, welches nicht zuletzt ein Landwirtschaftsexporteur ist, ist dies schwierig, denn landwirtschaftliche Exporte sind Massengüter, welche idealerweise auf dem Seeweg exportiert werden. Die Ukraine kontrolliert nur noch ein kleines Küstenstück bei Odessa.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Ukraine einen Teil der Schwarzmeerküste zurückerobert?
Dies ist das Minimalziel der angekündigten ukrainischen Frühjahrsoffensive. Teile der ukrainischen Küste, etwa bei der Hafenstadt Mariupol, sollen zurückerobert werden. Ob dies gelingt, darüber zeigen sich viele Beobachter skeptisch. Es bräuchte grosse militärische Anstrengungen und es scheint, dass der Westen der Ukraine, vor allem im Offensivbereich, wohl nicht genügend Waffen geliefert hat, dass ein solcher Vorstoss Aussichten auf einen grossen Erfolg hat.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.