Nach dem Absturz einer US-Drohne über dem Schwarzen Meer nahe der Kriegsregion der Ukraine ist noch vieles unklar. Washington spricht vom Zusammenstoss mit einem russischen Kampfjet, worauf man die Drohne aus Sicherheitsgründen habe abstürzen lassen. Laut dem Kreml gab es keine Kollision. Das aggressive Verhalten russischer Piloten in der Region sei aber seit längerem bekannt, sagt Fredy Gsteiger, diplomatischer Korrespondent von SRF.
SRF News: Musste mit einem solchen Vorfall in der angespannten Lage gerechnet werden?
Fredy Gsteiger: Damit musste man rechnen und man wird es auch in Zukunft müssen. Je mehr militärische Aktivitäten in einem Luftraum, umso grösser ist das Risiko für solche Vorfälle. Vor allem bei verfeindete Parteien, deren Militärführungen nicht mehr kommunizieren. Je verwegener zudem einzelne Akteure auftreten – wie in diesem Fall möglicherweise die russischen Piloten – umso grösser wird das Risiko.
Die US-Denkfabrik Rand hat bereits über 100 Zwischenfälle mit russischen Kampfjets über dem Schwarzen Meer und der Ostsee dokumentiert. Die Russenjets streifen Hoheitszonen von Nato-Ländern oder dringen gar in sie ein und nähern sich westlichen Schiffen und Flugzeugen gefährlich. Unklar ist, ob solche Aktionen immer von Moskau angeordnet sind oder ob es sich um Einzelaktionen von Piloten handelt.
Russland behauptet, es sei nichts passiert. Was stimmt bei diesem mutmasslich ersten physischen Kontakt zwischen Russland und den USA?
Im ersten Moment kommt es häufig gar nicht auf die gemachten Aussagen an, sondern welcher Seite man eher Glauben schenkt. Ein genaueres Bild dürfte sich erst in Wochen oder Monaten ergeben, wenn militärische und zivile Stellen auch anderer Länder sowie nicht-staatliche Organisationen Informationen liefern. Dies zeigte sich beispielsweise bei der Zerstörung der Nord-Stream-Pipeline, wo nach viele Monaten noch immer keine Klarheit herrscht. Es fragt sich dann immer auch, wie plausibel eine bestimmte Erklärung ist, welche Interessen sich dahinter verbergen und welche Seite sich eher in Widersprüche verwickelt.
Die direkte Konfrontation wollen beide Seiten vermeiden.
Welches Eskalationspotenzial hat dieser Zwischenfall in der Nähe der Krim-Halbinsel?
Das Hauptrisiko besteht darin, dass durch solche Vorfälle Russland und die USA samt Nato doch noch direkt in den russischen Krieg gegen die Ukraine verwickelt werden. Diese direkte Konfrontation wollen beide Seiten vermeiden. US-Präsident Joe Biden achtet genau darauf, das Engagement zu beschränken und tritt sehr vorsichtig auf. Dieses Interesse haben im Grunde auch die Russen. Denn militärisch sind sie gegenüber der Ukraine klar überlegen, aber in einer direkten Konfrontation mit der Nato wären sie militärisch krass im Nachteil.
Wie geht es weiter, wird sich jetzt etwas ändern?
Beide Seiten signalisieren, dass sie den Vorfall nicht hochspielen wollen, auch wenn in Washington teils harte Worte oder gar Drohungen zu vernehmen sind. Die grosse Frage ist, ob der Kreml das aggressive Verhalten seiner Piloten weiterhin duldet, um seinen Anspruch auf das Schwarze Meer zum Ausdruck zu bringen.
Die Amerikaner ihrerseits haben bereits angekündigt, dass sie weiterhin im und über dem zu einem grossen Teil internationalen Gewässer mit Überwachungs- und Aufklärungsflugzeugen präsent sein wollen. Und zwar ganz legal dank der Nato-Anrainerstaaten Bulgarien und Rumänien.
Das Gespräch führte Ali Amir.