Wie andere europäische Staats- und Regierungschefs auch wollte Frank-Walter Steinmeier nach Kiew reisen. Geplant war ein gemeinsamer Solidaritätsbesuch mit den Staatschefs Polens und der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland.
Der Pläne platzten aber prompt – das deutsche Staatsoberhaupt ist in der ukrainischen Hauptstadt ausdrücklich nicht erwünscht: Präsident Wolodimir Selenski schob den Plänen einen Riegel. Ein Affront, wie er in der Diplomatie Seltenheitswert hat.
In Deutschland selbst polarisiert Steinmeier kaum, als Bundespräsident gibt er sich als Mahner und Mittler. In der Ukraine allerdings gibt vor allem seine Rolle als deutscher Aussenminister zu reden, ein Amt, das er von 2005 bis 2009 und erneut von 2013 bis 2017 bekleidete.
Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy sagt es so: «Steinmeier steht für so ziemlich alles, was in den Beziehungen zwischen Deutschland und Russland schiefgelaufen ist.» So habe sich Steinmeier als Aussenminister auch für den Bau der Gaspipelines Nordstream 1 und Nordstream 2 eingesetzt. «Diese Projekte spielten eine grosse Rolle dabei, dass etwa die russische Annexion der Krim 2014 überhaupt möglich wurde.»
Etwas grob ausgedrückt ist Steinmeier ein Politrentner, der sein Gesicht wahren möchte.
Zudem gebe es in der Ukraine kaum einen Politiker, der ein schlechteres Image als Gerhard Schröder habe – ein Name, der eng mit der politischen Karriere von Steinmeier verknüpft ist. Der einstige deutsche Bundeskanzler Schröder tritt seit Jahren hauptsächlich als Putins Gaslobbyist in Erscheinung.
Schliesslich werden auch Steinmeiers Vermittlungsversuche beim Krieg in der Ostukraine kritisch betrachtet, der 2014 begann. «Die ‹Steinmeier-Formel› zur Beilegung des Konflikts mit dem Minsker Abkommen galt in der Ukraine quasi als Schimpfwort», sagt Trubetskoy. Der Vorwurf: Es sei ein Friedensfahrplan, der zulasten der Ukraine ging.
Steinmeiers Selbstkritik am Russland-Kurs
Steinmeier hatte vor kurzem erstmals eigene Fehler in der Politik gegenüber Russland eingeräumt, so etwa das Festhalten an Nordstream 2. Gegenüber der ARD nannte er Putin einen «eingebunkerten Kriegstreiber». Sein Image bleibt aber ramponiert – auch für den ukrainischen Journalisten. «Ich weiss gar nicht, ob diese Entschuldigung bei den Ukrainern angekommen ist. Aus meiner Sicht ist sie auch höchstens halbherzig.»
Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, warf Steinmeier kürzlich im «Tagesspiegel» ein «Spinnennetz an Russlandkontakten» vor. Trubetskoy wertet Steinmeiers Entschuldigung denn auch als blosse Replik: «Mein Eindruck ist, dass sich Steinmeier ohne Melnyks Äusserungen nicht entschuldigt hätte.»
Ein gewagtes Manöver
Doch kann es sich die Ukraine leisten, das Staatsoberhaupt eines der einflussreichsten europäischen Länder zu diskreditieren? Politisch klug sei das womöglich nicht, findet der freie Journalist, emotional aber verständlich: «Ich bin dagegen, aus dem deutschen Bundespräsidenten eine heilige Kuh zu machen.»
Letztlich hätte Steinmeiers Besuch in Kiew auch eher dem Zweck gedient, sein eigenes Image zu verbessern, schliesst Trubetskoy. «Etwas grob ausgedrückt ist Steinmeier ein Politrentner, der sein Gesicht wahren möchte.»