Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer reist nach Moskau, um dort Wladimir Putin zu treffen. Am Samstag war Nehammer in Kiew mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski zusammengekommen, er hatte auch Butscha besucht, wo die russischen Truppen mutmasslich Gräueltaten an Zivilisten verübt haben. Nehammer ist der erste westliche Regierungschef, der seit Kriegsbeginn zu Putin in den Kreml reist. SRF-Korrespondent Peter Balzli über Nehammers Beweggründe und die Kritik an der Reise.
SRF News: Was verspricht sich Nehammer von dieser Reise?
Peter Balzli: Sein Ziel ist nach eigenen Angaben, Putin von der Idee eines sofortigen Waffenstillstands zu überzeugen. Auch will Nehammer mit ihm über die Kriegsverbrechen sprechen. Hier in Österreich wird die Reise als Risikomission angesehen und entsprechend kritisiert.
Wie lautet die hauptsächliche Kritik an Nehammer?
Hauptsächlich wird kritisiert, dass der Kanzler keine Macht über die Bilder haben wird, welche ihn mit Putin zeigen werden. Die russische Propaganda werde die Bilder ausschlachten und betonen, dass Russland keineswegs isoliert sei und Europa sehr wohl die Nähe zu Moskau suche. Man kann sich auch ausmalen, was diese Bilder in der Ukraine auslösen werden.
Man befürchtet, dass die russische Propaganda die Bilder von Nehammer und Putin ausschlachten wird.
Ausserdem fordert Nehammer mit einem sofortigen Waffenstillstand dasselbe, das die Ukraine und die EU seit Beginn des Krieges fordern. Deshalb werde Putin jetzt, da er gerade eine neue Grossoffensive auf die Ostukraine startet, kaum ausgerechnet auf Nehammer hören.
Trotzdem will Nehammer ein Brückenbauer sein und Putin auch auf die Kriegsverbrechen seiner Soldaten ansprechen. Sehen Sie hier eine Aussicht auf Erfolg?
Hoffnung braucht es alleweil in der jetzigen Situation. Es stellt sich bloss die Frage, wieso sich ein Mann, der sein Nachbarland überfällt und dort die schrecklichsten Kriegsverbrechen begehen lässt, von einem Kanzler eines kleinen europäischen Landes umstimmen lassen sollte.
Das Risiko ist gross, dass Nehammers Besuch mehr schaden als nützen könnte.
Aber klar: Europa und der Westen spüren eine grosse Ohnmacht – und wer kann es Nehammer verdenken, etwas zu tun. Doch das Risiko ist gross, dass sein Besuch mehr schaden als nützen und nicht zuletzt für Zwietracht in der EU sorgen könnte.
Österreichs Beziehungen zu Russland gelten als eng. Woher kommt diese Verbundenheit zwischen den beiden Ländern?
Die Beziehungen sind historisch tief verankert. Ein wichtiger Moment war, dass die Russen im Zweiten Weltkrieg Wien von den Nazis befreiten. Mittlerweile importiert Österreich sehr viel Erdöl und Erdgas aus Russland.
Putin verbrachte früher seine Skiferien jeweils in Österreich.
Ausserdem verbrachte Putin in der Vergangenheit seine Skiferien immer wieder in Österreich, wo er auch Politiker und Wirtschaftsführer traf. Letztmals war Putin vor vier Jahren offiziell auf Staatsbesuch in Wien.
Wie wichtig ist Österreich für Putin und Russland?
Das Handelsvolumen ist wegen der Öl- und Gasimporte sicher gross, doch Österreich ist bloss eines von vielen Ländern, die fossile Energieträger aus Russland importieren – verglichen mit Indien oder China ist Österreich dabei bloss ein kleiner Wirtschaftspartner. Für Russland und Putin ist Österreich trotz der bislang guten Beziehungen daher sicher kein Schwergewicht – und kaum ein Land, das ihn jetzt, mitten in seinem militärischen Angriff auf die Ukraine, plötzlich umstimmen könnte.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.