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Krieg in der Ukraine «Es gibt Kunden, die das ukrainische Getreide unbedingt wollen»

Die Ukraine produziert auch im dritten Kriegswinter Getreide für die Welt. Einschätzungen des ukrainischen Agrarunternehmers Alex Lissitsa zum aktuellen Stand von Produktion und Export im Jahr 2024.

Alex Lissitsa eilt im Genfer Hotel Intercontinental von Saal zu Saal, schüttelt Hände, klopft Schultern, tauscht Visitenkarten aus. Das Hotel beherbergt Global Grain, eine weltweite Konferenz des Agrarrohstoffhandels. Lissitsa informiert hier über die Entwicklungen in seiner Heimat.

Getreide aus der Ukraine sei immer noch etwas teurer als anderswo, gibt er zu, aber es gebe Abnehmer: Gestern etwa habe er Mais nach China verkauft, und zwar in Odessa für 201 Dollar pro Tonne. Das sei der höchste Preis seit zwei Jahren: «Es funktioniert trotzdem, es gibt Kunden, die das ukrainische Getreide unbedingt kaufen wollen.»

Lissitsa ist der Präsident des Ukraine Agri Business Clubs, einem der grossen Agrarverbände des Landes. Gleichzeitig ist er Chef von IMC, einem Agrarunternehmen, das 120'000 Hektaren Ackerland im Norden der Ukraine bewirtschaftet.

West- und Nordukraine hatten 2024 gute Erträge und werden wahrscheinlich sehr gute Zahlen ausweisen.
Autor: Alex Lissitsa Agrarunternehmer, Präsident Ukraine Agri Business Club

Die Ukraine sei nach wie vor eine wichtige Getreidelieferantin auf dem Weltmarkt, sagt er. In Teilen des Landes sei die Produktion gut: «Die Westukraine und die Nordukraine hatten 2024 gute Erträge und werden wahrscheinlich sehr gute Zahlen ausweisen.»

Die Süd- und Ostukraine dagegen kämpfen laut Lissitsa weiter mit den Folgen des anhaltenden Krieges. Teile seien besetzt, andere könnten wegen Minen nicht bewirtschaftet werden. «Es sieht im Durchschnitt also nicht schlecht aus, wobei das nicht pauschal fürs ganze Land gilt», bilanziert er.

Getreideernte
Legende: Minensuche vor der Getreideernte am 1. Juli 2024 auf einen Landwirtschaftsbetrieb nahe der Grossstadt Saporischja in der Südukraine. Imago/Sopa Images/Andriy Andriyenko

Grösstes Problem der letzten Jahre war der Export des Getreides. Die Häfen am Schwarzmeer waren unsicher, die Donau wurde zu einem wichtigen, aber auch teuren Transportkanal ins Ausland.

Odessa wird jeden Tag bombardiert, wie alle anderen Städte. Wir gehen alle jeden Tag das Risiko ein, dass irgendwas passiert.
Autor: Alex Lissitsa Agrarunternehmer, Präsident Ukraine Agri Business Club

Nun werde viel Getreide wieder direkt über den Schwarzmeer-Hafen von Odessa verschifft, so Lissitsa: «Natürlich gibt es Probleme. Odessa wird jeden Tag bombardiert wie alle anderen Städte. Wir gehen alle jeden Tag das Risiko ein, dass irgendwas passiert. Doch auf der anderen Seite hat sich das mit dem Getreidehandel einigermassen normalisiert.»

Was Lissitsa plagt, sind Personalprobleme: «Wir hatten vor dem Krieg 2400 Mitarbeitende, mittlerweile sind es 1600.» Ein Teil sei mobilisiert worden, andere seien abgesprungen und nur schwer zu ersetzen. «Gerade für die Familien mit kleinen Kindern kann es zu viel werden, wenn sie fünfmal pro Nacht in den Keller laufen müssen.»

Alex Lissitsa
Legende: Agrarunternehmer Alex Lissitsa. Sein Unternehmen IMC produziert in der Nordukraine Getreide auf einer Fläche fast so gross wie der Kanton Aargau. Ukrainian Agribusiness Club

Während im Getreidehandel auffällig viele Frauen tätig sind, sieht es in der Produktion anders aus. Zwar versuche man, vermehrt Frauen in die Agrarproduktion zu bringen, aber Traktorfahren sei für viele weiterhin ein Männerberuf. Und die meisten noch in der Region verbliebenen Frauen seien schon über 60 Jahre alt.

Unternehmer Lissitsa gibt sich trotzdem optimistisch. Er will künftig umweltfreundlicher produzieren und bis in zehn Jahren die EU-Richtlinien einhalten können. Das sei aber ein langer, teurer und schwieriger Weg. Nach vorne schauen, lautet seine Devise.

Wenn der Krieg innerhalb von 24 Stunden beendet werden könne, wie das gewisse Politiker behaupteten, sei das wunderbar. Sonst versuche er halt trotz des Kriegs seinen Job zu machen: Getreide produzieren für sein Land und die ganze Welt.

Rendez-vous, 15.01.2025, 12:30 Uhr

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