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Odessa: Das Leben geht weiter, dem Krieg zum Trotz
Aus Echo der Zeit vom 16.07.2024. Bild: SRF/Judith Huber
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Schwarzmeerhäfen in Odessa Ukrainischer Mut zahlt sich aus

Als Russland das Getreideabkommen mit der Ukraine aufkündigte, befürchtete man das Schlimmste. Doch nun laufen in Odessa wieder Frachtschiffe aus. Wie ist das gelungen?

Kaum jemand ist an diesem Morgen im Herzen von Odessa unterwegs. Der Primorska-Boulevard, der einen wunderbaren Blick aufs Meer bietet, ist menschenleer. Gemeindearbeiter reinigen die berühmte Potemkinsche Treppe mit Wasser. Die Stufen führen steil hinunter zum Hafen. Dort ragt ein ausgebombtes Hotel in den Himmel.

Im Vordergrund ein grosses Frachtschiff, im Hintergrund ein grosses Frachtschiff, dazwischen das Meer
Legende: Ein Hafen von Odessa (Archivbild). Reuters/Ritzah/Scanpix

Und doch hört man an den Geräuschen, dass im Hafen gearbeitet wird, der Zerstörung der Hafeninfrastruktur zum Trotz. Dmytro Barinov ist der stellvertretende Chef der Administration der ukrainischen Seehäfen. Er sagt: «Alle unsere drei Häfen in der Bucht von Odessa sind in Betrieb.» Die Situation sei völlig anders als zu Beginn des Krieges: Damals seien die russischen Kriegsschiffe eine direkte Bedrohung gewesen für die Stadt, und alle Schwarzmeerhäfen waren blockiert. Nun verfüge die Ukraine über Seedrohnen und andere wirksame Waffen, und Russland habe sich zurückziehen müssen.

Blockierte Häfen, blockiertes Getreide

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Die Ukraine ist eine Exportnation und dadurch existenziell auf ihre Meerhäfen angewiesen. Sie verfügt über 18 Häfen an den Küsten des Schwarzen und des Asowschen Meeres. Fünf davon sind bereits seit der Annexion der Krim 2014 in russischer Hand.

2022, mit Start der Grossinvasion, versuchte Russland, alle Häfen zu erobern und damit auch alle ukrainischen Getreideexporte zu verunmöglichen. Das sollte das Land wirtschaftlich ausbluten. Russland besetzte die Häfen am Asowschen Meer, Mariupol und Berdiansk. Und bereits kurz vor der Grossinvasion begann die russische Flotte mit Manövern vor Odessa, und blockierte damit auch die dortigen drei Häfen.

Diese sind inzwischen – mit Einschränkungen – wieder in Betrieb. Prekärer ist die Lage im temporär russisch besetzten, aber wieder befreiten Cherson: Der dortige Hafen kann wegen des ständigen Beschusses durch die nahe russische Artillerie nach wie vor nicht betrieben werden. Nicht in Betrieb ist auch der Hafen von Mikolajiw.

Beide südukrainische Häfen sind wichtig für den Getreidetransport, denn dort wurden die Güter von flusstüchtigen auf meerestüchtige Schiffe umgeladen. Es blieben der Ukraine damit nur noch die Donauhäfen Reni und Ismail, um Getreide auszuschiffen. Auch diese wurden – trotz ihrer unmittelbaren Nähe zum Nato-Land Rumänien – von Russland mit Drohnen und Raketen angegriffen.

Die Ukraine produziert rund 10 Prozent des weltweit verfügbaren Getreides, dieses ernährt hunderte Millionen Menschen.

Doch es bleibt die Bedrohung aus der Luft: Über 130 Mal habe Russland die Hafeninfrastruktur mit Raketen und Drohnen angegriffen. Ein Lotse wurde auf der Brücke seines Schiffes getötet, mehrere Lastwagenfahrer und Hafenmitarbeiter starben.

Ein Mann mit Brille in einem Büro, vor einer Seekarte.
Legende: Dmytro Barinov ist der stellvertretende Chef der Administration der ukrainischen Seehäfen. SRF/Judith Huber

Der Mangel an Luftverteidigung macht sich schmerzlich bemerkbar: Odessa kann die russischen Raketen nicht abfangen. Und doch, so sagt Barinov: Sie arbeiteten weiter und reparierten alles so schnell wie möglich.

Ukraine versorgt die Weltmärkte

Von Odessa aus versorgt die Ukraine die Weltmärkte mit Getreide, Mais, Sonnenblumenöl und mit Rohstoffen wie etwa Eisenerz. Die Welternährungsorganisation WFP sei zu rund 50 Prozent von der Versorgung durch die Ukraine abhängig, so Barinov. Deshalb gab es ein Aufatmen, als im Sommer 2022 das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland vermittelt werden konnte. Moskau allerdings kündigte es nach einem Jahr bereits wieder auf und intensivierte die Luftangriffe auf die ukrainischen Häfen. Doch die Ukraine schaffte es, die Exportroute über das Schwarze Meer selbständig wieder zu öffnen.

Wir können jetzt effizienter arbeiten, ohne die willkürlichen Verzögerungen durch russische Kontrollen.
Autor: Dmytro Barinov Stv. Chef der Administration der ukrainischen Seehäfen

Und das funktioniert unerwartet gut. Barinov sagt, dass sie jetzt sogar mehr Güter über das Schwarze Meer exportierten als während des Getreideabkommens. Es sind 42 Millionen Tonnen in nur acht Monaten, verglichen mit 32 Tonnen in einem ganzen Jahr: «Wir können jetzt effizienter arbeiten, ohne die willkürlichen Verzögerungen durch russische Kontrollen.»

Schiffe fahren unter ausländischer Flagge

Das ukrainische Militär öffnete diesen sogenannten Korridor, obwohl Russland damit drohte, jedes Schiff, das einen ukrainischen Hafen anlaufe, sei ein legitimes Kriegsziel. Die Route führt durch entminte Gewässer nahe der Küste, entlang nicht nur der ukrainischen Küste, sondern auch derjenigen der Nato-Länder Rumänien, Bulgarien und Türkei. Und: Alle Schiffe fahren unter ausländischer Flagge. Das hält möglicherweise die Russen von Angriffen ab.

Sie hätten täglich mehr als 100 Anfragen von Schiffen, die an den ukrainischen Häfen anlegen wollten, sagt der stellvertretende Hafenchef. Das ist ein riesiger Erfolg in diesen schwierigen Zeiten.

Echo der Zeit, 16.07.2024, 18:00 Uhr

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